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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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anschließende Gemetzel gab es keine Worte.
    Im Blutrausch stürmten die Kreuzfahrer die Heilige Stadt. Sie trieben die Menschen, die in Todesangst durch die engen Gassen Jerusalems flohen, vor sich her wie Tiere und schlachteten sie im Laufen ab. Sie rissen Kinder von der Brust ihrer Mütter und zerschmetterten ihre Köpfe an den Türschwellen der Häuser. Sie vergewaltigten die Frauen mit allem was sie hatten und erschlugen die Männer mit Steinen. Selbst die letzten in der Stadt verbliebenen Christen wurden nicht verschont. Ein stinkender Strom aus Blut und Schleim ergoss sich über die Straßen Jerusalems bis hinab ins Kidrontal. Auf dem Tempelberg massakrierten die Kreuzfahrer zehntausend Menschen, die sich dorthin geflüchtet hatten, als ob der Prophet selbst ihnen dort auf seinem geflügelten Pferd Buraq zu Hilfe eilen könnte. Es war, als atme die Stadt einen fahlen Dunst des Bösen, der die Luft und die Herzen vergiftete und nach immer mehr Blut verlangte. Und was da auch immer tief unter der Stadt atmen mochte, es hasste Menschen. Überhaupt das Leben.
    Am Nachmittag dieses fünfzehnten Juli stand Jean de Vezelay erschöpft, aber zufrieden auf einem Berg von Leichen und sah den achteckigen Bau des Felsendoms vor sich, das Ziel der Reise. Der Benediktiner war über und über mit Blut besudelt. Es klebte in seinen zur Tonsur geschnittenen Haaren, tränkte sein Kettenhemd, glänzte speckig auf seiner zerlumpten Kleidung und tropfte zäh von der schartigen Klinge seines Schwertes. Unterhalb der Tempelmauern stiegen dichte Rauchschwaden auf. Die milde Abendluft war erfüllt von dem Gestank verbrannten Fleischs, dem Gebrumm der Millionen von Fliegen und den Schreien der letzten Überlebenden.
    Ein guter Tag, fand Jean de Vezelay, obwohl er wusste, dass auch diese Hochstimmung verfliegen und nichts als Leere zurücklassen würde, wie immer, wenn er getötet hatte. Es war nie genug und würde nie genug sein. Er sehnte sich nach etwas Großem, das er töten konnte. Etwas wirklich Großem , das einfach nie aufhören würde zu sterben. Im Grunde sehnte er sich danach, Gott mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten.
    Gefolgt von Hugo von Payns, einem neunzehnjährigen Bürschchen, dessen Kaltblütigkeit und Arsch ihm gefallen hatten, betrat er den Felsendom und sah ungerührt zu, wie der verrohte Stolz des fränkischen Adels Edelsteine und Gold aus den üppigen Verzierungen im Innern des Heiligtums herausbrach. Jean de Vezelay hatte nicht viel übrig für die Schönheit der Architektur, aber der klare achteckige Bau mit dem freien Felsen im Zentrum, der wie die Zunge eines großen, gefangenen Wesens herausleckte, gefiel ihm. In der gerechten Genugtuung eines Mannes, der alles erreicht hatte, was er sich vorgenommen hatte, wollte er eben zum Lager zurückkehren, um sich noch ein wenig dem Hochgefühl dieses Tages hinzugeben, als er seitlich des Felsens den Eingang zu einer Grotte bemerkte. Eine steile, steinerne Treppe führte hinab ins Dunkel unter dem Felsen, und Vezelay stellte verwundert fest, dass offenbar keiner der marodierenden Ritter die Höhle bemerkt oder den Impuls verspürt hatte nachzusehen, was sich da unten verbarg. Als er neugierig etwas näher trat, verstand er auch, warum. Aus der Tiefe der Grotte wehte etwas zu ihm herauf, das sich wie der Atemhauch von etwas anfühlte, das da unten schlief und das man besser nicht weckte. Jean de Vezelay bemerkte irritiert, dass er eine Gänsehaut bekam. Seinem mürrischen Schützling, seinem eiskalten Todesengel, der Freude seiner kalten Nächte schien es nicht anders zu gehen. Hugo wollte plötzlich zurück ins Lager, aber Vezelay herrschte ihn an, er solle verdammt nochmal die Schnauze halten und ihm gefälligst eine Fackel besorgen.
    Dann betrat er die Höhle, die sich tief unter dem heiligen Felsen erstreckte, auf dem Abraham um ein Haar seinen Sohn Isaak geopfert hätte. Als er den Fuß der Steintreppe erreichte, öffnete sich eine geräumige Grotte vor ihm, hoch genug, dass man darin stehen konnte. Obwohl er nicht tiefer als acht Meter hinabgestiegen war, drang kein Laut mehr zu ihm herab, bis auf das Geräusch fließenden Wassers am Ende der Grotte. Ein Plätschern. Gurgeln. Das Gefühl, nicht allein hier unten zu sein, war jetzt stark und übermächtig. Im flackernden Schein der Fackel sah er eine in den Fels geritzte Zeichnung von einem Mann mit Löwenkopf. Weitere Zeichnungen entdeckte er nicht. Vorsichtig näherte sich Vezelay dem Plätschern, das

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