Collector’s Pack
hinausragte. Mit einem trockenen Knacken brach ein Stück Granit von der Platte ab.
Bühler zog Luft ein. Peter starrte irritiert auf die abgebrochene Kante.
»Wir sollten verschwinden, bevor Sie hier alles zu Klump schlagen«, meinte Bühler.
»Warten Sie!« Peter untersuchte die Granitplatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie relativ dünn war im Vergleich zu der übrigen massiven Bauweise. Außerdem war sie frisch poliert und auch deutlich neueren Datums. Als er sich unter die Platte beugte, erkannte Peter überrascht, dass der Steinblock des Altars darunter nicht aus dem üblichen galizischen Granit bestand, sondern aus …
Kalksandstein!
Peter hatte vor Jahren eine Reportage über den Jakobsweg geschrieben und erinnerte sich, dass in Galizien seit Jahrhunderten ausschließlich mit Granit gebaut wurde. Häuser, Kornspeicher, Burgen, Kirchen, einfach alles. Der harte Stein eines rauen Landes. Statt wie sonst aus weichem Kalksandstein hatten die galizischen Baumeister sogar ihre Kathedrale aus härtestem Granit erbauen müssen, weil es in dieser Gegend nichts anderes gab. Der Granit lag in Massen praktisch vor der Hautür. Im Gegensatz zu Kalksandstein, der in dieser Gegend wie ein Fremdkörper wirkte.
»Helfen Sie mir mal, Bühler!«, rief Peter dem Schweizer zu und begann mit aller Kraft, an der Platte herumzudrücken. Wie er vermutet hatte, war sie nur aufgelegt und ließ sich ein wenig bewegen. Mit Bühlers Hilfe gelang es schließlich, die Platte ganz von dem Steinblock zu wuchten.
Die umlaufende Fuge an der Oberseite des Kalksteinblocks bewies, dass der Quader hohl war, verschlossen von einem passgenauen steinernen Deckel. Obwohl gerade groß genug für ein Kind, erkannte Peter, dass es sich um ein Grab handeln musste. Ein Ossarium , ein Beinkasten, in dem man in biblischer Zeit die Knochen eines Verstorbenen nach seiner Exhumierung aufbewahrt hatte. Über die Jahrhunderte hinweg hatte der Kalkstein die dunkle Farbe des Granits angenommen. Seine Oberfläche zeigte Risse, Schleif- und Brandspuren, braune Flecken, die Blut gewesen sein mochten. Hektisch suchte Peter den Stein nach einer Inschrift ab. Und als er die kaum lesbare lateinische Inschrift auf dem Steindeckel endlich entdeckt hatte, verstand er schlagartig, was da vor ihm lag.
Das bestgehütete Geheimnis des Christentums.
Das Grab von Yeshua Bar Rabban.
XXXVII
15. Juli 1099 n. Chr., Jerusalem
J ean de Vezelay war ein Mann von kleinem Wuchs. Er hatte weiche, fast schwammige Gesichtszüge und Augen voller Tücke. Er war mit siebenundfünfzig Jahren ein alter Mann in der Rüstung eines Kreuzritters. Sein Überleben in den vergangenen drei Jahren verdankte er seiner Skrupellosigkeit und seinem Geschick, sich niemals in vorderster Kampflinie blicken zu lassen. Dabei tötete er ausgesprochen gern. Und dieser erste Kreuzzug war das Fest seines Lebens.
Der Benediktinermönch aus der Bourgogne, Sohn eines Landgrafen und einer vierzehnjährigen Wäscherin, hatte es durch eine Reihe von Morden, Denunziationen und sein Redetalent geschafft, in den Ritterstand erhoben zu werden. Er allein hatte dreitausend Mann für diesen ersten Kreuzzug mobilisiert, von denen kein einziger mehr lebte. Von den siebentausend Rittern, den zwanzigtausend Mann Fußvolk und den weiteren dreißigtausend Unbewaffneten aus allen Teilen Europas, die sich zwei Jahre zuvor in Konstantinopel vereinigt hatten, hatte überhaupt gerade mal ein Viertel überlebt. Schiffbruch, Seuchen, Hunger, Entkräftung, Wahnsinn, die nicht enden wollenden Schlachten um Nicäa und die siebenmonatige Belagerung von Antiochia hatten das größte Heer, das die Welt bis dahin gesehen hatte, abgefressen wie Ameisen einen Kadaver. Und wie Kadaver fühlten sie sich, die ausgehungerten und zerlumpten fränkischen Kreuzfahrer, die mordend und marodierend durch das Heilige Land zogen. Nach der Eroberung von Ma’arat an-Numan fraßen sie Hunde und Menschenfleisch. Die erwachsenen Sarazenen kochten sie in Kesseln, nachdem sie in ihren Mägen nach Goldmünzen gewühlt hatten. Die Kinder zogen sie auf Spieße und aßen sie geröstet.
Am dreizehnten Juni erreichte Jean de Vezelay zusammen mit kaum noch vierzehntausend Mann endlich die Mauern der Heiligen Stadt. Ein erster Angriff scheiterte unter schlimmsten Verlusten. Erst nachdem Bauholz aus Samaria herangeschafft und Belagerungstürme, Rammen und Katapulte gebaut werden konnten, gelang nach fünfwöchigem Kampf die Eroberung Jerusalems. Für das
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