Collins, Suzanne
ohne Grund die Ohren zu, als wollte
sie ein schmerzhaftes Geräusch ausblenden. Merkwürdig ist sie tatsächlich, aber
wenn Finnick sie liebt, reicht mir das.
Ich durfte mein Vorbereitungsteam mitnehmen, muss also in
Modefragen keine Entscheidungen treffen. Als ich den Wandschrank öffne,
verschlägt es uns allen die Sprache. Cinnas Gegenwart ist in den fließenden
Stoffen deutlich zu spüren. Octavia sinkt auf die Knie, streicht sich mit dem
Saum eines Rocks über die Wange und bricht in Tränen aus. »Es ist so lange
her«, stößt sie hervor, »dass ich etwas Schönes gesehen habe.«
Obwohl Coin die Hochzeit zu extravagant findet und
Plutarch zu glanzlos, wird sie ein Riesenerfolg. Die dreihundert handverlesenen
Gäste aus Distrikt 13 und die vielen Flüchtlinge tragen ihre Alltagskleider,
die Dekoration ist aus Herbstblättern gebastelt, und die Musik wird von einem
Kinderchor besorgt, begleitet von einem einsamen Geigenspieler, der mit seinem Instrument
aus Distrikt 12 fliehen konnte. Nach den Maßstäben des Kapitols ist es eine
schlichte, bescheidene Feier. Aber das spielt keine Rolle, denn die Schönheit
des Paars ist unvergleichlich. Nicht wegen ihres Aufzugs - Annie trägt das
grüne Seidenkleid, das ich in Distrikt 5 anhatte, Finnick einen von Peetas
Anzügen, der geändert worden ist. Doch wer könnte an den strahlenden Gesichtern
zweier Menschen vorbeisehen, denen dieser Tag einmal unerreichbar schien? Die
Zeremonie wird von Dalton, dem Viehzüchter aus Distrikt 10, geleitet, da die
Bräuche von 4 und seinem Distrikt ähnlich sind. Aber manches ist auch ganz
einmalig in 4. Ein aus langen Grashalmen gewebtes Netz, das die beiden während
des Heiratsversprechens bedeckt, das Berühren der Lippen des anderen mit
Salzwasser und das alte Hochzeitslied, in dem die Ehe mit einer Schiffsreise
verglichen wird.
Nein, ich brauche nicht nur so zu tun, als würde ich mich
für sie freuen.
Nach dem Kuss, der den Bund besiegelt, den Hochrufen und
dem Umtrunk mit Apfelwein spielt der Geiger eine Melodie, die alle Köpfe aus 12
herumfahren lässt. Wir waren zwar der kleinste und ärmste Distrikt von Panem,
aber tanzen können wir. Offiziell ist an dieser Stelle nichts geplant, doch
Plutarch, der von der Regie einen Propo haben will, drückt bestimmt die Daumen.
Tatsächlich nimmt Greasy Sae Gale bei der Hand, zieht ihn in die Mitte und
stellt sich ihm gegenüber. Andere Paare strömen auf die Tanzfläche, machen es
den beiden nach und bilden zwei lange Reihen. Und dann beginnt der Tanz.
Ich stehe am Rand und klatsche den Rhythmus mit, als mich
eine knochige Hand über dem Ellbogen anstößt. Johanna sieht mich böse an.
»Willst du dir die Gelegenheit entgehen lassen, dass Snow dich tanzen sieht?«
Sie hat recht. Was könnte den Sieg lauter verkünden als ein Spotttölpel, der
fröhlich zu der Musik herumwirbelt? In der Menge entdecke ich Prim. An den
Winterabenden hatten wir immer viel Zeit zum Üben, deshalb tanzen wir ganz gut
zusammen. Ich wische ihre Bedenken wegen meiner Rippen beiseite und wir
stellen uns in der Reihe auf. Das Tanzen tut zwar weh, aber im Vergleich zu der
Genugtuung, dass Snow mich mit meiner kleinen Schwester tanzen sieht,
erscheint alles andere nichtig.
Der Tanz verwandelt uns. Wir bringen den Gästen aus Distrikt
13 die Schritte bei. Bestehen auf einem bestimmten Stück für Braut und
Bräutigam. Fassen uns an den Händen und bilden einen großen wirbelnden Kreis,
in dem wir zeigen, was wir können. So lange hat es nichts vergleichbar
Albernes, Lustiges, Vergnügtes gegeben. Es könnte die ganze Nacht so weitergehen,
wäre da nicht noch etwas in Plutarchs Propo vorgesehen. Ich habe nichts davon
mitbekommen, aber es sollte ja auch eine Überraschung sein.
Aus einem Nebenraum schieben vier Leute eine riesige Hochzeitstorte
herein. Die meisten Gäste weichen zur Seite, sie machen Platz für dieses
Wunder, diese umwerfende Kreation mit blaugrünen, schaumgekrönten
Zuckergusswellen, in denen sich Fische und Segelboote, Robben und Seeanemonen
tummeln. Ich zwänge mich durch die Menge, um die Bestätigung für das zu
bekommen, was ich auf den ersten Blick erkannt habe. So sicher, wie die
Stickerei auf Annies Kleid von Cinna gefertigt wurde, so sicher stammen die
Zuckergussverzierungen von Peeta.
Das mag eine Kleinigkeit sein, aber es spricht Bände. Haymitch
hat mir eine ganze Menge verheimlicht. Der Peeta, den ich vor Wochen zuletzt
gesehen habe, der sich die Seele aus dem Leib schrie und
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