Collins, Suzanne
den Geheimwaffen geübt.«
»Das ist nicht dasselbe, Katniss«, sagt Boggs. »Wir alle
wissen, dass du geschickt und mutig und ein guter Schütze bist. Aber in der
Schlacht brauchen wir Soldaten. Du hast überhaupt keine Ahnung davon, wie man
einen Auftrag ausfuhrt, und körperlich bist du auch nicht gerade auf der
Höhe.«
»Als ich in Distrikt 8 war, hat Sie das auch nicht weiter
gestört. Und in 2 auch nicht«, sage ich.
»In beiden Schlachten warst du eigentlich nicht befügt zu
kämpfen.« Plutarch bedeutet mir mit einem Blick, bloß nicht zu viel
preiszugeben.
Nein, der Kampf gegen die Bomber in 8 und meine Intervention
in 2 waren spontan, unüberlegt und eindeutig unbefugt.
»Und beide Male wurdest du verwundet«, sagt Boggs. Auf
einmal sehe ich mich mit seinen Augen. Ein kleines siebzehnjähriges Mädchen,
das nicht richtig durchatmen kann, weil seine Rippen noch nicht ganz verheilt
sind. Ungepflegt. Undiszipliniert. Angeschlagen. Kein Soldat, sondern jemand,
um den man sich kümmern muss.
»Aber ich muss ins Kapitol«, sage ich.
»Warum?«, fragt Coin.
Ich kann kaum sagen, dass es mir um meine persönliche Rache
an Snow geht. Oder dass es unerträglich wäre, hier in 13 zu bleiben, wenn Peeta
so ist, wie er jetzt ist, und Gale in den Kampf zieht. Aber ich habe noch mehr
Argumente. »Wegen Distrikt 12. Weil sie meinen Distrikt zerstört haben.«
Darüber denkt Coin einen Augenblick nach. Schaut mich
prüfend an. »Na gut, ich gebe dir drei Wochen. Das ist nicht lange, aber du kannst
mit dem Training anfangen. Wenn die Einsatzkommission dich für tauglich
erklärt, werden wir deinen Fall noch einmal überdenken.«
Das war's. Mehr kann ich nicht erhoffen. Das habe ich mir
wohl selbst zuzuschreiben. Ich habe meinen Tagesplan nie eingehalten, außer
wenn es mir gerade in den Kram passte. Es erschien mir nicht besonders
reizvoll, mit einem Gewehr über den Platz zu laufen, wenn es so viel anderes
gab. Und jetzt muss ich für meine Unzuverlässigkeit büßen.
Als ich wieder in die Krankenstation komme, treffe ich Johanna,
die sich in derselben Lage befindet wie ich. Sie ist stocksauer. Ich berichte
ihr von meinem Gespräch mit Coin. »Vielleicht kannst du ja auch trainieren.«
»Gut. Ich werde trainieren. Aber ich gehe in das verdammte
Kapitol, und wenn ich eine Besatzung umbringen und das Hovercraft selbst
hinfliegen muss«, sagt Johanna.
»Vielleicht erwähnst du das beim Training lieber nicht«,
sage ich. »Jedenfalls gut zu wissen, dass ich eine Mitfluggelegenheit habe.«
Johanna grinst, und ich merke, dass sich in unserem
Verhältnis etwas verändert hat, ein klein wenig nur und doch bedeutsam. Ich
weiß nicht, ob wir richtige Freundinnen sind, aber das Wort Verbündete trifft es möglicherweise. Das ist gut. Ich werde eine Verbündete
brauchen.
Als wir am nächsten Morgen um 7.30 Uhr zum Training
antreten, schlägt mir die Realität ins Gesicht. Wir sind einer Gruppe von
Anfängern zugeteilt worden, Vierzehn- bis Fünfzehnjährige, was schon etwas
beleidigend ist, bis sich zeigt, dass ihre Kondition weit besser ist als
unsere. Gale und die anderen, die für das Kapitol ausgewählt wurden, sind in
einer weit fortgeschritteneren Trainingsphase. Nach den schmerzhaften
Dehnübungen machen wir mehrere Stunden lang Krafttraining, ebenfalls
schmerzhaft, und dann einen Fünf-Kilometer-Lauf, der mich fast umbringt. Obwohl
Johanna mich mit gezielten Beschimpfungen antreibt, muss ich nach einem
Kilometer aufgeben.
»Es ist wegen meiner Rippen«, erkläre ich der Trainerin,
einer nüchternen Frau mittleren Alters, die wir Soldat York nennen sollen. »Die
sind noch geprellt.«
»Tja, Soldat Everdeen, bei so was dauert der Heilungsprozess
mindestens einen Monat, kann ich dir sagen.«
Ich schüttele den Kopf. »Einen Monat kann ich nicht warten.«
Sie mustert mich genau. »Haben die Ärzte dir keine Behandlung
angeboten?«
»Gibt es denn eine?«, frage ich. »Mir haben sie gesagt,
das muss von selbst heilen.«
»Das sagen sie immer. Aber wenn ich es empfehle, können
sie den Prozess beschleunigen. Doch ich warne dich, das ist kein Spaß«, sagt sie.
»Bitte. Ich muss ins Kapitol«, flehe ich.
Soldat York sagt nichts dazu. Sie kritzelt etwas auf einen
Notizblock und schickt mich direkt in die Krankenstation. Ich zögere. Ich
will nicht schon wieder das Training verpassen. »Zum Nachmittagsunterricht bin
ich wieder da«, verspreche ich. Sie presst nur die Lippen aufeinander.
Vierundzwanzig Nadelstiche
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