Colorado Saga
von Wärtern begleiten zu lassen, die die Tiere tränken und herumführen mußten, wenn die Fahrt länger als sechsunddreißig Stunden dauerte.
So kam es, daß Dr. Gregg und Cisco Calendar also im Dienstwagen reisten und, wenn alles normal lief, die Tiere, die sie betreuen sollten, vermutlich nicht einmal zu Gesicht bekommen würden. Die Eisenbahn hatte jedes Interesse daran, den Zug pünktlich nach Chicago zu bringen, und das früher übliche, verdammenswerte Abschieben von Güterzügen auf Nebengleise ohne Rücksicht auf das Wohlbefinden der Tiere war streng verboten. Trat allerdings eine unvermeidliche Verzögerung ein, dann würde Gregg und Calendar eine wichtige Rolle zufallen. Sie würden die Tiere ausladen, sie in Bewegung halten und zur Tränke führen müssen.
»In neunzehn von zwanzig Fällen passiert nichts«, versicherten die Bremser den beiden Wärtern. »Setzt euch ruhig hin und genießt die Fahrt.«
Neun Männer befanden sich in dem großen Personalwagen, der mit fünf Schlafkojen ausgestattet war. Vier gehörten zum regulären Zugpersonal, und fünf waren freiwillige Helfer wie Gregg und Calendar. Und um diesen trübsinnig dreinblickenden jungen Mann versammelten sich nun die anderen, denn als er seine Gitarre zur Hand nahm und zu singen begann, hörten alle zu.
Er hatte eine rauhe Stimme, die von Lagerfeuern im Westen erzählte, und er kannte alle die alten Lieder, die die Cowboys gesungen hatten. - »Aura Lee«, »Buffalo Gal«, »Old Blue«, »Old Paint« - und die zwei neuen, die durch das Radio so bekannt geworden waren -, »The Last Roundup«, und »Wagon Wheels«. »Sie sollt'n berufsmäßig singen«, sagte Professor Gregg nach einer Weile.
»Ist auch meine Absicht.«
»Sie sollten es in Chicago versuchen.«
»Ist auch meine Absicht.«
»Ich bin von Ihrem Talent wirklich sehr angetan«, meinte der Professor. »Ihre Stimme hat eine außergewöhnliche Tonqualität sie klingt so echt.« Und als Calendar zu diesen Worten keinerlei Kommentar abgab, fuhr der Professor fort: »Um wirklich
erfolgreich zu sein, Cisco, müssen Sie sich vergegenwärtigen, was Sie ausdrücken wollen. Sie werden vor Leuten singen, die noch nie in ihrem Leben ein Lagerfeuer gesehen haben. Sie sollten sich einen Stetson anschaffen, Stiefel, wie man sie in Texas trägt, ein großes rotes Halstuch.«
»Dafür hab' ich kein Geld«, erwiderte Cisco.
»Ich kenne da einen Laden in Chicago, wo man Ihnen vielleicht Kredit gibt«, sagte Gregg. »Als Künstler muß man aus allem Vorteil ziehen.«
Der Zug kam jäh zum Stillstand, und draußen erklangen Stimmen: »Dieser verdammte Zug ist ja voller Landstreicher!« Baseballschlaghölzer schwingend, stürzten sich die Bremser auf den Bahndamm und fingen an, wild auf die blinden Passagiere einzuschlagen, die sich unter den Wagen versteckt hatten. Professor Gregg, der am Fenster saß, sah einen Mann vorbeihasten, dem das Blut über das Gesicht lief, und den Bruchteil einer Sekunde lang blickte der Mann wie hilfesuchend zu ihm auf, doch Gregg konnte nichts tun.
Als der Zug seine Fahrt nach Osten fortsetzte, brachte der Professor keinen Bissen über die Lippen. Die vier Bremser waren bestimmt keine schlechten Menschen, aber sie hatten die Landstreicher mit ihren Schlagkeulen so genüßlich traktiert, als ob es ein Sport wäre, hilflose Menschen über den Schädel zu schlagen. Es war abscheulich.
Calendar verstand als einziger, was in Gregg vorging. Er bot ihm ein halbes Sandwich an, doch der Professor konnte immer noch nichts essen. »Was ist denn los?« fragte Cisco. »Haben Sie noch nie gesehen, wie ein Mensch niedergeknüppelt wird?« Er nahm Greggs Hand und führte sie an sein Haar, um dem Professor Gelegenheit zu geben, seine von Höckern übersäte Kopfhaut zu betasten.
»Wir leben in einer gräßlichen Zeit«, meinte Gregg. »Wir haben schon Ärgeres erlebt«, erwiderte Cisco und fing wieder an zu singen.
Nach vierunddreißig Stunden fuhr der Zug in den Schlachthof ein. Dr. Gregg erlebte nun selbst, wie gräßlich die Zeit wirklich war, denn als die Herefords am nächsten Tag versteigert wurden, erfuhr er, daß die schönen Tiere um nur dreizehn Dollar einundachtzig je Stück an die Käufer gegangen waren. Als die Nachricht von dieser Transaktion in Centennial eintraf und die verschiedenen Rancher feststellen mußten, daß sie ihre Tiere buchstäblich verschenkt und für die Arbeit von Jahren - das Zusammenrichten und Verschnüren der Heuballen, das stundenlange
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