Colorado Saga
beteiligten.
Kaum war bekanntgeworden, daß man sich entschlossen hatte, einen Viehtransport zusammenzustellen, wurden die beteiligten Rinderzüchter auch schon von Angeboten junger
Männer aus der Gegend überschüttet, die in ihre Dienste treten wollten. Beeley Garrett, dessen Ranch ja nicht weit von Centennial gelegen war, wo die Bahn die Viehwaggons zusammenzog, wurde besonders häufig angegangen. Von morgens bis abends klopften ungelenke junge Männer an seine Tür: »Hab' gehört, Sie schicken Rinder nach Osten. Möcht' Ihnen gern helfen.«
»Sie heißen?«
»Chester - Otto Emigs Enkel.«
»Ich kannte Ihren Großvater. Haben Sie's schon bei den Roggens versucht? Otto war mit ihnen befreundet.«
»Nichts zu wollen. Haben mich hierher geschickt.«
»Ich schreib' mir Ihren Namen auf, Chester. Sie sind ein netter junger Mann, und vielleicht können wir Sie gebrauchen.«
Einer nachdem anderen kamen die jungen Cowboys an die Tür und bettelten um einen Job, für den nichts bezahlt und nicht einmal Verpflegung geboten wurde. Sie hatten natürlich Gelegenheit, Chicago zu sehen, doch was sie noch mehr reizte, war die Aussicht auf eine Freifahrt im Pullmanwagen nach Hause, sobald die Rinder abgeliefert waren.
Aber auch das war es nicht, was Dr. Walter Gregg, einen jungen Professor am College in Greeley, dazu bewegte, sich um einen Job zu bewerben. »Ich muß einfach nach Chicago«, flehte er Garrett an. »Zu einer Fachtagung.«
»Ist das so wichtig?«
»Von entscheidender Wichtigkeit. Man hat mich aufgefordert, einen Vortrag zu halten. Es wäre für mich von größter Bedeutung... für meine Karriere, meine ich.«
»Wenn das so wichtig ist, warum fahren Sie nicht mit dem Zug?«
»Wir haben überhaupt kein Geld.«
»Ich möchte Ihnen ja helfen, Dr. Gregg, aber der
Gedanke, einen Collegeprofessor... mit einem Viehtransport...?«
»O bitte«, bettelte der Mann. »Alle maßgeblichen Leute in meinem Fach werden da sein. Meine ganze Zukunft hängt davon ab.«
»Ich notiere mir Ihren Namen, Herr Professor. Sie hören von mir.«
An dem Tag, da er seine Entscheidung treffen mußte, meldete sich ein unerwarteter Kandidat bei ihm: Jake Calendars Sohn Cisco, ein magerer, wortkarger junger Mann mit gelbem Haar. Wahrscheinlich war er der beste Cowboy unter den Bewerbern, aber seine mürrische, kratzbürstige Art störte Garrett.
»Hab' gehört, Sie suchen Leute für den Viehtransport«, stieß er in einem undeutlichen Gemurmel hervor.
»Da haben Sie falsch gehört, junger Mann. Ich suche niemanden, aber eine Menge Leute haben sich um den Job beworben.«
»Dann schreiben Sie mich eben auch auf die Liste«, entgegnete er forsch und machte sich nicht einmal die Mühe, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Beeley mußte sich sehr beherrschen, um ihm nicht eine zu langen, aber er hielt sich zurück. Der Bursche forderte ihn heraus, doch aus Gründen, die Beeley nicht hätte definieren können, fühlte er sich zu ihm hingezogen. Vielleicht nur, weil Calendar den wirklichen Westen personifizierte, weil er vom Typ her so echt war. »Wissen Sie was«, sagte Garrett, einer momentanen Eingebung folgend, »ich nehme Sie. Und jetzt fahren Sie zum College hinüber, verlangen Sie Professor Gregg zu sprechen und sagen Sie ihm, daß der Zug heute abend um sechs abfährt.«
»Hab' keinen Wagen«, erwiderte Calendar.
»Nehmen Sie den kleinen Lieferwagen.«
Er sah zu, wie der junge Mann in nachlässiger Haltung zum Ford hinüberschlenderte, die Tür aufriß und ruckartig den Gang einlegte. Im nächsten Augenblick heulte der Motor auf, die Räder drehten sich, und der Cowboy sauste los.
Abends beim Zug dankte ihm Professor Gregg so überschwenglich, daß Garrett sich beschämt fühlte. In was für einer Zeit leben wir doch! dachte er sich. Ein Collegeprofessor, der nicht das Geld hat, nach Chicago zu fahren.
Daß Dr. Gregg einen großen Koffer mit sich führte, überraschte ihn nicht, aber er stellte erstaunt fest, daß Calendars Gepäck aus einem Papiersack mit einem sauberen Hemd und einem Rasierapparat und einer großen Gitarre bestand. Er hätte nie gedacht, daß die Calendars, diese Ausgestoßenen der Prärie, musikalische Neigungen hatten.
Soziologieprofessor Gregg und der aufstrebende Gitarrist Cisco Calendar verdankten es dem Sechsunddreißigstundengesetz, daß sie mit dem Viehzug mitfahren durften. Dieses Gesetz verpflichtete Viehzüchter, die ihre lebende Fracht über größere Entfernungen verschickten, den Transport
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