Colorado Saga
Cisco heute abend singen will«, schlug er vor, und sie war froh, einen Vorwand gefunden zu haben, das Lokal zu verlassen. Sie gingen durch die Mountain und die Prairie Road hinunter und entlang der Geleise bis zu Ciscos mit Schindeln
gedecktem Haus. Er saß auf der Veranda, wie er das üblicherweise nachmittags tat, und ließ die Welt an sich vorbeiziehen. Wie sein älterer Bruder war auch er groß und hager. Er hatte das Gesicht eines Mannes, der es seit langem gewöhnt war, im Freien zu
arbeiten.
»Tag, Leute«, sagte er freundlich, ohne sich zu
erheben.
»Ich wollte dir nur sagen, daß es mir leid tut... die Kontroverse mit Floyd... vor Gericht, meine ich.«
»Er ist ein gemeiner Kerl. Wird schon alles so
gewesen sein, wie du gesagt hast.«
»Man hat mich nur über die Truthühner vernommen.« »Wie geht's ihnen denn?«
»Hab' sie mir heute morgen angesehen. Dick und frech waren sie.« »Komm doch abends 'rüber«, mischte sich Flor ins Gespräch. »Sing uns ein paar Lieder.«
»Könnte sein«, erwiderte Cisco.
Sie wußten, daß sie nichts weiter zu sagen brauchten. Wenn er Lust hatte, würde er gegen zehn im »Flor de Mejico« erscheinen und für seine Nachbarn singen. Flor wußte, daß er in Städten wie Cleveland und Birmingham einige tausend Dollar für ein einmaliges Auftreten verlangen konnte, doch wenn er daheim war, verbrachte er seine Zeit gerne mit den Menschen, von denen er seine Lieder gelernt hatte, den Mexikanern und den Cowboys.
Garrett und Flor spazierten zurück zum Railway-Arms-Hotel, wo sie auf ein Glas Bier einkehrten. Sie wußten daß die Leute in der Stadt sie beobachteten und daß es einiges Gerede gegeben hatte. Klatschbasen behaupteten, Flor wäre seine Geliebte, aber eine Kellnerin, die sie gut kannte, erklärte: »Ohne standesamtliche Ehegenehmigung läßt diese heiße Tomate keinen Mann ins Bett!«
Sie irrte. Flor Marquez und Paul Garrett kamen schon seit geraumer Zeit in verschiedenen Hotelzimmern in verschiedenen Städten zusammen - einer vor dem anderen auf der Hut, beide im Zweifel über ihre Zukunft. Und weil sie ihre trostlose Vereinsamung an diesem Nachmittag besonders stark empfanden, trennten sie sich vor dem Restaurant und eilten, jeder für sich, auf Schleichwegen in ein nahe gelegenes Motel, wo sie die ersten Abendstunden zubrachten. Gegen neun machten sie sich unbemerkt davon, um sich, jeder wieder auf eigenen Wegen, in Marquez' Restaurant mit mir zu treffen. Flor kam als erste und unternahm den halbherzigen Versuch, ihrem Vater bei der Speisenausgabe zu helfen. Bald darauf erschien Garrett und begann den Musikautomaten zu füttern. »Cisco kommt!« rief eine Weile später ein Junge von der Tür her, und die Nachricht löste Bewegung unter den Gästen aus. Seine Gitarre in der Hand, betrat der schlaksige Sänger das Lokal, nickte einigen Freunden zu und kam an den Tisch, wo Garrett und ich saßen. Er lud Flor ein, zu uns zu kommen, und trank etwa eine Stunde lang Bier, während er die Fragen von Verehrern beantwortete, die alles mögliche über Nashville und Hollywood wissen wollten. Schließlich nahm er seine Gitarre zur Hand und fing an, ein paar Saiten zu zupfen.
Er schlug einige Akkorde an und legte das Instrument wieder auf den Tisch. »Was möchtest du gerne hören, Paul?«
Es spielte eigentlich keine Rolle, denn was immer Cisco Calendar sang, ließ den Westen vor seinen Zuhörern auferstehen. Wenn er von Büffeltreibern sang, dachte er an seinen Großvater, der beim großen Gemetzel von 1873 seine Sharps Kaliber 50 so lange abgefeuert hatte, bis die Flinte so heiß war, daß er sie nicht mehr halten konnte. Sang er von den Sandstürmen, erinnerte er die Zuhörer an seinen Vater Jake, dem der Sturm 1936 den Hof weggefegt und der alles verloren hatte, als seine Frau nicht aufhören wollte zu meckern, schoß er mit einer Schrotflinte wild auf sie los und saß ein Jahr im Knast. Und wenn Cisco von Cowboys sang, vermeinten die Leute in seiner hohen, nasalen Stimme das Rauschen der Steppenhexen zu hören oder den harten Mißklang einer im Sand zusammengerollten Klapperschlange. Er sang von Falken und Adlern und vom Schecken eines Indianers, und die Zuhörer sahen diese Tiere vor sich, denn in seinem Vortrag lag eine erschreckende Wirklichkeit. Dies war die Kunst eines Mannes, der eine Kultur in sich aufgenommen und ihre Substanz entdeckt hatte.
»Ich möchte gern >Malaguena Salerosa<
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