Colours of Love
dich nicht zu entschuldigen«, erklärt sie und wirft Marcus einen bösen Blick zu. Dann sieht sie mich an und lächelt. »Aber für die Zukunft sollten wir dir deinen Schlüssel vielleicht lieber an einer Kette um den Hals hängen. Sicher ist sicher.«
Reumütig verziehe ich das Gesicht und erwidere dann ihr Lächeln. Sie ist so nett, und ich finde es wirklich schade, dass ich mich ihr nicht anvertrauen kann. Vielleicht später, wenn ich selbst Zeit hatte, alles zu verarbeiten.
Marcus sieht jetzt zerknirscht aus. Offenbar ist ihm seine Reaktion unangenehm.
»Möchtest du noch Tee, Grace?«, fragt er, deutlich freundlicher als zuvor, und hält die Kanne hoch. Doch ich lege die Hand über die Tasse und stehe auf.
»Nein, danke. Ich glaube, ich lege mich noch eine Weile hin«, sage ich und stelle meinen Becher in die Spüle. Ich bin tatsächlich sehr müde, und mein ganzer Körper schmerzt, aber auf angenehme Weise.
Annie nickt. »Sollen wir nachher ein bisschen shoppen gehen?«, fragt sie, und ich nicke begeistert. Das will ich schon seit meiner Ankunft hier tun. Und ein bisschen Ablenkung kann wirklich nicht schaden, denn sonst werde ich vermutlich bis Montagfrüh nur an Jonathan denken.
Doch das tue ich leider trotzdem, nicht nur während der zwei Stunden, in denen ich vergeblich zu schlafen versuche, sondern auch am Nachmittag, als Annie mit mir all die entzückenden kleinen Boutiquen in Islington durchstöbert, in denen sie die ausgefallene Mode findet, für die ich sie so bewundere. Denn ganz egal, in welchen Laden wir gehen, ich sehe mir die Sachen alle nur unter dem Aspekt an, ob sie Jonathan wohl gefallen würden.
In einem charmanten Second-Hand-Shop, der passender Weise »Annie’s« heißt – was ein zusätzlicher Grund ist, warum er zu den Lieblingsläden meiner Mitbewohnerin zählt –, hat es mir besonders ein schwarzes Wickelkleid mit einem tiefen Ausschnitt angetan.
Annie blickt mir neugierig über die Schulter. »Ist das nicht ein bisschen zu sexy fürs Büro?«
»Meinst du?« Ich muss mich beherrschen, um meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, weil sie mit ihrer Bemerkung genau das in Worte fasst, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. Nur dass ich das Kleid gerade deshalb so toll finde, weil es sexy ist und ich mir Jonathans Gesichtsausdruck vorstelle, wenn er mich darin sieht.
»Wie wär’s denn hiermit?« Annie hält ein Vintage-Kleid und ein paar hohe Stiefel in der Hand, beide in einem Braun, das perfekt zum Rotton meiner Haare passt. »Ich glaube, das würde dir stehen.«
»Ich probier’s mal an«, sage ich, nehme jedoch auch das schwarze Kleid mit, als ich zu der kleinen Umkleidekabine gehe. Ich kann einfach nicht anders.
Beides – die braunen Sachen, aber auch das schwarze Kleid – stehen mir sehr gut, wie Annie begeistert bestätigt. Sie sind nicht billig, aber auch nicht unerschwinglich, und ich gönne mir alle drei Teile. Schließlich ist heute ein ganz besonderer Tag.
»Komm, lass uns hier noch mal reingehen«, schlägt Annie vor, als wir etwas später an einem kleinen Friseurgeschäft vorbeikommen. »Du warst erst wirklich in London, wenn du dir hier die Haare hast schneiden lassen – und Andrew ist ein wahrer Haar-Gott, ich bin hier Stammkundin.«
Die Idee, danach vielleicht genauso stylisch auszusehen wie Annie, gefällt mir gut. Außerdem habe ich plötzlich große Lust auf eine Veränderung, deshalb folge ich ihr in den kleinen, sehr flippig eingerichteten Salon, der mit seinen krassen neonfarbenen Wänden fast ein bisschen beängstigend wirkt, und vertraue mich dem rastalockigen Andrew an, der gar nicht aussieht wie jemand, der viel Wert auf Haarpflege legt. Aber ich werde positiv überrascht, als ich anderthalb Stunden später in den Spiegel schaue.
Meine rotblonden Haare sind jetzt ein kleines bisschen kürzer, aber vor allem stufiger geschnitten, sodass sie mehr Volumen haben und mir wie ein Feuerregen bis auf die Schultern fallen. Prüfend betrachte ich mich von allen Seiten und frage mich, ob es wirklich nur der neue Haarschnitt ist, der mich anders aussehen lässt. Ich fühle mich anders. Vielleicht liegt es auch daran.
Als Annie und ich uns auf dem Rückweg noch bei »Ottolenghi«, einem Restaurant, das irgendwie auch ein Café ist und in dem es die größte Auswahl an herrlichen Kuchen und Gebäckstücken gibt, die ich jemals gesehen habe, einen Cupcake gönnen, beschäftigen mich meine verwirrenden Gefühle für Jonathan Huntington immer
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