Colours of Love
Schwester für Verletzungen hat?«, frage ich.
Jonathan atmet tief ein, so als müsse er sich erst sammeln, bevor er antwortet. »Er hat gesagt, ihr Bein war eingeklemmt und sie hat stark geblutet. Aber sie war bei Bewusstsein.«
»Das klingt nicht lebensgefährlich«, sage ich, um ihn zu beruhigen, aber ich kann ihm ansehen, wie schlecht mir das gelingt.
»Das King Edward VII’s Hospital hat einen exzellenten Ruf«, sagt Alexander, der genauso angespannt wirkt wie Jonathan, aber offenbar im Gegensatz zu seinem Kompagnon den Stress lieber mit Reden abbaut. Er erklärt mir, dass es eine Privatklinik in Marylebone ist, die zu den medizinischen Top-Adressen Londons gehört und in der auch Prinz Philipp schon behandelt wurde. »Sie tun für Sarah sicher, was sie können«, sagt er, und es klingt wie eine Beschwörung.
Sobald die Fahrstuhltüren sich öffnen, stürmen die Männer durch das Foyer, und ich habe Mühe, mitzuhalten. Draußen wartet bereits die Limousine, in der wir wenig später durch die Stadt jagen. Jonathan versucht über sein Handy noch mal seinen Vater zu erreichen, doch es meldet sich nur die Mailbox, was ihn sichtlich verärgert. Dann probiert er es in der Klinik, erfährt nach längeren Verhandlungen mit der Empfangsdame aber nur, dass eine Sarah Huntington aufgenommen wurde und derzeit in Behandlung ist, mehr nicht.
»Verdammt.« Jonathan flucht laut, als er wieder auflegt, und das zeigt deutlicher als alles andere, wie aufgewühlt er ist.
»Es ist bestimmt nicht so schlimm«, sage ich, doch als Jonathan mich ansieht, erkenne ich, dass es für ihn schlimm ist. Sehr schlimm. Es ist das erste Mal, dass ich nackte Angst in seinen Augen sehe.
Mein Herz schmerzt bei seinem Anblick und ich würde ihn gerne berühren und trösten, aber das traue ich mich nicht, weil Alexander uns gegenübersitzt. Er ist zwar auch in Gedanken und sieht oft aus dem Fenster, aber ab und zu betrachtet er mich und Jonathan mit einem nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht.
Außerdem bin ich nicht sicher, ob Jonathan meinen Trost überhaupt wollen würde, denn er wirkt extrem abweisend und in sich gekehrt, starrt vor sich hin.
Wir reden nicht mehr, bis wir vor der Klinik in der Beaumont Street ankommen, einem großen, aber überraschend schlichten mehrstöckigen Gebäude mit weißem Sockel und zahlreichen Fensterreihen in der roten Backsteinmauer, das sich nahtlos in das Straßenbild einfügt. Es sieht eigentlich fast aus wie ein Hotel, mit dem Fahnenmast über einem von Buchsbäumen flankierten Eingang.
Auch beim Betreten fühle ich mich gar nicht wie sonst in Krankenhäusern, denn es wirkt alles eher wie in einem edlen Stadthaus. Hinter dem Tresen, an dem die Empfangsdame sitzt, ist ein großer alter Kamin in der Wand eingelassen, der aber offenbar nicht mehr benutzt wird, und die bunten Glasfenster darüber lassen mich sofort an das Innere einer Kirche denken. Man führt uns auch nicht in einen kalten Wartebereich, sondern in die »Bibliothek«, einen sehr gediegen eingerichteten Raum mit gemütlichen roten Sofas und Vitrinen aus poliertem Holz. Und wir müssen auch nicht lange warten, denn fast sofort kommt eine Ärztin mit braunen Haaren, die schon von einigen grauen Strähnen durchzogen sind. Auf dem Namensschild an ihrem Kittel steht Dr. Mary Joncus und ich schätze sie auf Mitte Fünfzig.
»Wie geht es meiner Schwester?«, fragt Jonathan ohne Umschweife, nachdem sie uns alle begrüßt hat.
»Sie hat einen Beinbruch und einige Prellungen erlitten und außerdem durch eine Schnittwunde viel Blut verloren«, informiert ihn die Ärztin. »Wir konnten sie aber schnell stabilisieren, und zum Glück war auch nur eine kurze OP notwendig, um das Bein zu richten. Sie liegt jetzt zur Beobachtung auf der Intensivstation.«
»Auf der Intensivstation?« Jonathan wird sofort wieder blasser.
»Ja, aber das ist reine Routine. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.«
Jonathan fährt sich mit der Hand durchs Haar und atmet hörbar aus. Auch Alexander wirkt, als wäre ihm gerade mehr als ein Stein vom Herzen gefallen, und für einen Moment beneide ich Sarah Huntington unbekannterweise dafür, dass sich diese beiden beeindruckenden Männer so offenkundig um sie sorgen.
»Und was ist mit Hastings – ich meine, Mr Hastings? Dem Chauffeur meines Vaters?«, erkundigt sich Jonathan.
»Er hat eine Schulterprellung durch den Zug des Gurtes und Verdacht auf eine Gehirnerschütterung. Auch er muss eine Nacht zur Beobachtung
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