Comin 2 get u
wird sicher eines der drei Ts dahinterstecken: Trinken, Tyrannei, Trennung – aber ich habe noch kein Kind erlebt, das so voller Hass ist. Ich wünschte, ich könnte helfen.«
»Warum lässt du mich nicht einen Blick darauf werfen?«
»Nein«
, sagte sie und schob ihre Zettel zu einem Stapel zusammen wie ein Roulettespieler seine Jetons, »das darfst du nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil … darum. Jetzt beeil dich aber, und zwar dalli, dalli.«
Ich bewegte mich widerwillig Richtung Tür. »Mum?«
»Was ist denn noch, mein Schatz? Hast du irgendwas?«
»Es ist nur …« Nein, das war keine gute Idee. Ich konnte es ihr nicht erzählen. Sie war jedes Mal ganz bestürzt, wenn sie das Gefühl hatte, ich war unglücklich. »… ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Kerlchen. Aber es ist immer noch Schlafenszeit, Sammy, also geh jetzt diese Treppe hoch!«
Zuerst hatte ich es nicht gesehen. Ich war zu beschäftigt damit gewesen, nicht über diese SMS nachzudenken. Aber als ich den Blick Richtung Fenster wandte, bekam ich den Schock meines Lebens.
Sie haben … sie haben doch nicht?
Das Gefühl, beobachtet zu werden, intensivierte sich mit jedem Schritt auf das Fenster zu. Fünf triefende gelbe Augen, die klebrige Tränen und kaputte Eierschalenweinten, glotzten zu mir rein und folgten mir durch das Zimmer wie Big Brother. Sofern Mr Fuchs nicht gelernt hatte zu werfen, schied er als Verdächtiger höchstwahrscheinlich aus.
Mit einem Ruck zog ich die Vorhänge zu und versuchte, so zu tun, als wäre das schleimige Gemisch aus kaputten Eiern, das meine Fensterscheibe hinunterlief, nicht da. Das war nicht das Einzige, was ich tat, um das Ganze zu vergessen. Aber wie lange konnte ich noch so weitermachen? Früher oder später würde ich die bittere Pille schlucken müssen.
Ich streifte in meinem Zimmer umher wie ein Tiger im Käfig, riss die Kalenderblätter der letzten drei Tage ab, klimperte jeden Akkord auf der Gitarre, den ich kannte (e-Moll und a-Moll), und hielt inne, um das original Star-Wars-Poster zu bewundern, das Dad mir vom Greenwich Market mitgebracht hatte, um schließlich meinen Laptop anzuwerfen und
HMS Belfast
zu googeln – Hauptsache, ich tat irgendetwas, das mich davon abhielt, das Handy wieder hervorzuholen.
Die virtuelle Tour war eigentlich ziemlich cool, doch nachdem ich ein paar Minuten die unteren Decks erkundet hatte (man konnte sich sogar den Maschinenraum ansehen), wusste ich, dass ich es nicht länger hinauszögern konnte. Zähneknirschend griff ich nach dem Dadphone und ging direkt zum Posteingang.
Manchmal wünscht man sich so sehnsüchtig, etwas möge nicht wahr sein, dass man sich einzureden versucht, es sei alles nur ein Irrtum. Auch wenn das gar nicht sein kann. Als der Spezialist ihm erzählt hatte, was mit meiner Großmutter nicht stimmte, war es meinemGroßvater gelungen, sich einzureden, dass es sich lediglich um einen länger andauernden Durchfall handle. Und nun saß ich hier und hoffte vergeblich, ich hätte mich verlesen oder zu halluzinieren begonnen – so wie Dad nach seinem ersten Doppelmarathon.
Aber ich konnte mich nicht selbst belügen. Es stand da, schwarz auf weiß:
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Verhasste Grüße – Der Imperator
22.30 Uhr
Schon mal auf einer Klippe gestanden und kurz davor gewesen, sich hinunterzustürzen? So fühlte es sich an; doch anstatt mich vom Abgrund wegzubewegen, wusste ich, dass ich dieses Mal, selbst wenn ich noch weitere zwanzig Minuten auf meine Klarinettenurkunde aus der dritten Klasse starrte, früher oder später springen musste.
Ich tippte die Adresse ein und war auf das Schlimmste gefasst.
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber es war noch schlimmer, als ich es mir je hätte ausmalen können. Zuerst hörte man nur Musik – es war dieser Ententanz, zu dem Mum und Dad sich anlässlich der Hochzeit von Tante Deb ziemlich peinlich aufgeführt hatten –, dann folgte die Flash-Animation einer Person in Hühnerkostüm, die über den Bildschirm watschelte und mit dem Po wackelte wie Balu, der Bär. Alle aus der Achten waren im Flash-Animation-Kurs. Die Jungs erstellten normalerweise Filme mit irgendwelchen Gewaltszenenund die Mädchen ließen die Zungen von Comicfröschen nach Fliegen schnappen.
Ich hatte schon fast Spaß an der Szene, als sich das Huhn umdrehte und ich sah, dass es einen Klarinettenkasten trug. Am Rand, im Graffiti-Stil geschrieben, standen die Worte:
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