Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
schnell
nach seinem Handgelenk.
„Wenn du nicht in der Lage bist zu reden, macht
das nichts. Dann versuchen wir es später.“
„Ich will bloß weg von hier!“ schluchzt er. „Das
ist ein Tollhaus. So tötet man doch keinen. Ich will weg aus dieser Stadt, auf der Stelle.“
„Wieviel waren es denn?“
„Drei oder vier. Ich erinnere mich nicht.“
„Kanntest du sie?“
„Wir empfangen hier doch keine Penner.“
„Waren das Penner?“
„Es waren … es waren …“ Er vergräbt den Kopf
in den Händen. „Ich will aufwachen, ich will auf-
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wachen, ich will aufwachen …“
Ich lasse ihn fünfzehn Sekunden in Ruhe, dann
hake ich nach: „Je schneller du uns auf die Sprünge hilfst, um so größer ist unsere Chance, sie zu
schnappen.“
Er wirft ruckartig eine Haarsträhne nach hinten
und holt tief Luft. Seine Hände zerknüllen das La-
ken.
„Es hat geläutet. Ben ist nachsehen gegangen,
wer da ist. Ich war im Schlafzimmer und habe sie
mit ihren Waffen hereinstürzen sehen. Ich habe
mich schnell im Schrank versteckt. Ein Typ ist das
Schlafzimmer kontrollieren gekommen. Mich hat
er nicht gesehen. Er ist wieder ins Wohnzimmer
zurück. Ben war wütend. Er forderte sie auf, sofort zu verschwinden, und drohte mit der Polizei. Ich
glaube, sie haben ihn zusammengeschlagen. Ich
habe gehört, wie er zusammengebrochen ist. ‚Wo
ist die Diskette?’ haben sie gebrüllt. Ben sagte, er wisse nicht, wovon sie sprächen. Da sind sie über
ihn hergefallen. Er schrie, als ob die Welt unter-
ginge. Er schrie so sehr, daß ich ohnmächtig ge-
worden bin … Bitte, sagen Sie mir, daß das alles
nicht wahr ist. Ich flehe Sie an, rütteln Sie mich
wach!“
Der Rest seiner Klage geht unter in langem Ge-
stöhn.
„Kümmer dich um ihn“, sage ich zum Brigadier
und gebe Lino und Ewegh ein Zeichen, mir zu fol-
gen.
Draußen legt sich die Dämmerung auf die Stadt
wie ein frigider, verbitterter Nachtmahr auf eine
Brennessel. Am Himmel, an dem es trügerisch
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lichtert, steht der Mond wie der leibhaftige böse
Blick. In der Ferne, auf hoher See, die sich in Finsternis auflöst, hat sich ein abtrünniger Frachter in ein Glühwürmchen verwandelt, doch niemand tut
ihm den Gefallen, auf seine Maskerade einzuge-
hen. Es ist die Stunde, da die Menschen sich hinter Schloß und Riegel verkriechen, um sich ein Alibi
zu verschaffen, da ihr Gewissen an der Kette liegt
und bleierner Schlaf ihre Lider beschwert. Algier
kehrt in die Hölle zurück. Seine Schutzpatrone
helfen ihm nicht mehr. Seine Nachtwachen sind
wie Totenwachen. Das geringste Blätterrauschen
hält man für ein Todesröcheln.
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Die Geheimdienstzentrale ist bestens getarnt. Es
käme keinem zufälligen Gaffer in den Sinn, daß
hinter den Trümmern einer stillgelegten Fabrik
einer der geschäftigsten Nachrichtendienste des
Kontinents am Werk ist.
Ich bin schon einmal dagewesen, zu der Zeit, als
Kommissar Dine Chef der EDV-Abteilung war.
Wenn ich daran denke, schaudert’s mich noch heu-
te.
Ein als Penner verkleideter Wärter öffnet mir ei-
ne Pforte und geleitet mich durch ein Labyrinth aus unterschiedlichsten Materialien. Dann ein Schiebe-fenster und ein anderer Wärter, in Anzug und Kra-
watte diesmal, der meine Papiere beschlagnahmt,
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mich in ein Register einträgt und in die Höhle des
Löwen katapultiert.
Keine Zeit mehr, kleine weiße Kieselsteine auf
den Weg zu streuen. Ein Aufzug verschluckt mich
und kotzt mich wie ein verdorbenes Lebensmittel
mitten auf einem Gang aus, der jedem OP-Trakt
zur Ehre gereichte. Jetzt braucht’s wirklich keine
Begleitung mehr. Rotierende Kameras machen
Röntgenbilder von dir, und dein Instinkt führt dich immer der Nase nach deinem Schicksal entgegen.
Meines sieht aus wie ein braver Stammeshäupt-
ling. Seine Kobrabrille trägt er ebenso hoheitsvoll zur Schau wie seine fünfzig Jahre. Er ist kaum grö-
ßer als ein Kilometerstein, mit einem Lächeln, das
in einem Sanatorium harmlos gewirkt hätte, den-
noch entströmt seiner Person eine solche Autorität
und solches Mißtrauen, daß du anfängst, deinem
eigenen Schatten nicht mehr über den Weg zu trau-
en.
Er kommt hinter seinem nüchternen Schreibtisch
hervor, drückt mir die Hand, spürt mein Unbeha-
gen und versucht, mich zu beruhigen: „Es sind nur
ein paar Formalitäten zu erledigen, Kommissar.
Nehmen Sie doch bitte Platz …“
Da funkt das Telefon dazwischen. Mein Gastge-
ber
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