Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
seinen ersten Abschluß und gleich hinterher
auch noch den Doktor gemacht, so locker, daß man
noch heute darüber staunt.
Er war gerissen, der Ben. Ich erinnere mich, daß
er jedesmal, wenn im Palast ein Méchoui* [* Hammel am Spieß, arabisches Festessen] angesagt war, eine solche Beredsamkeit an den Tag legte, daß die ge-ladenen Gäste darüber das Essen vergaßen. Er
verstand es wie kein Zweiter, Dichter und Helden
der Vergangenheit in eine Reihe mit den tapferen
Schmieden unserer Befreiung zu stellen und das
liebe Algerien in olympische Höhen zu erheben.
Und wer ihm zuhörte, der identifizierte sich, ver-
dammt noch mal, im Handumdrehen mit der Revo-
lution und ließ die Welt erzittern, wenn er sich nur schneuzte.
Für den 150prozentigen Polizisten, der ich da-
mals war, strotzend vor Gewißheiten beim Verlas-
sen des Untergrunds, verkörperte er das progressi-
ve, kriegerische, siegreiche Algerien. Er war mehr
als nur ein Idol für mich, er war der Glaube
schlechthin. Es reichte schon, daß er am Kommis-
sariat vorbeikam, und ich geriet in helle Verzü-
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ckung. Ich ertappte mich, wie ich ihn meinen Kol-
legen mit dem Finger zeigte, freudig erregt wie ein Schüler, der seinen Lehrer plötzlich auf dem Souk
entdeckt.
So kam es, daß ich, als Ben Ouda in eine ganz
banale Sittengeschichte verwickelt war, sofort Ze-
ter und Mordio schrie. Im tiefsten Grund meines
Herzens lehnte ich es kategorisch ab, daß ein
Moudjahid** [** Freiheitskämpfer] vom Kaliber des Unterpräfekten sich für einen vierzehnjährigen
Rotzlümmel entflammen könnte. Ich setzte mich
mit Leib und Seele für die Rettung seines guten
Rufes ein, bedrohte die Zeugen und stellte den El-
tern des Opfers Repressalien in Aussicht, die Ta-
merlan höchstpersönlich abgeschreckt hätten.
Ben Ouda ist ein Seigneur. Er hat meinen massiven
Einsatz für ihn nicht vergessen. Der Beweis: nach
dreißig Jahren Funkstille hat er sich an mich erin-
nert und mich gebeten, ihm an der Place de la Cha-
rité, Hausnummer 14, einen Besuch abzustatten.
Er hat es weit gebracht seit damals, seit den Zei-
ten der Unterpräfektur in Ghardaia. Erst bei der
Justiz, dann im Diplomatischen Dienst. 1989 kehr-
te er nach Algerien zurück, um den hohen Herr-
schaften zur Hand zu gehen, die vom Staatspräsi-
denten beauftragt worden waren, die Verfassung
zurechtzubiegen, um die Gelüste der Fundamenta-
listen, die uns noch an die Nieren gehen sollten, zu legitimieren. Es kursieren Gerüchte, man habe ihm
ein hohes Staatsamt angetragen, aber seine exzes-
sive Demut hätte ihn bewogen, sich mit seinen
Schweizer Nummernkonten zufriedenzugeben.
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Ben steht im Ruf, ein Intellektueller zu sein. Er
zieht die Ferne dem Bad in der Menge vor, die
Ruhe einer Residenz jenseits des Mittelmeeres dem
protokollarischen Tamtam. In aller Bescheidenheit
hat er akzeptiert, als Konsul nach Schwarzafrika zu gehen, später mußte man ihn bitten und beknien,
bis er sich bereit erklärte, Botschafter im Orient zu werden.
Das Heimweh hat sein Gedächtnis aufgefrischt,
die Sehnsucht sein goldenes Exil zur Einöde, seine
Einsamkeit zur Askese werden lassen, und so kam
es, daß man eines schönen Morgens seine Bücher
in den Auslagen der Buchläden auftauchen sah.
Das war 1992. Das Land lag mit einer gestaltlosen
Demokratie in den Wehen. Das Volk rief nach
Denkmalstürzern und applaudierte den Wahrheits-
beschwörern. Im allgemeinen Taumel wagte sich
jeder auf eigene Faust mit Enthüllungen ans Licht.
Ben Bella servierte uns seine Memoiren, Aït Ahmed Die Affäre Mesli, Belaïd Abdeslem Das algerische Gas. Für jeden war etwas dabei.
Ben Ouda für sein Teil beglückte uns mit Traum
und Utopie, einer atemberaubenden Abrechnung mit dem wissenschaftlichen Sozialismus einstiger
Eselstreiber, die zu den Dinosauriern des nationa-
len Niedergangs mutiert waren. Ein Bestseller.
Manch übler Witzbold behauptete gar, der Hohe
Staatsrat, der an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatte,
beabsichtige, den Autor als stellvertretendes Mit-
glied zu rekrutieren. Und Ben Ouda gab im Fern-
sehen, während auf den Straßen die Polizisten ab-
geknallt wurden, folgenden zitatverdächtigen
Spruch von sich: „Ich liebe mein Volk zu sehr, um
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es zu unterjochen.“
Ich, der ich längst nicht mehr an Fakire glaubte,
bemerkte zu Mina: „Das ist doch wenigstens ein
Kerl. Der nimmt kein Blatt vor den Mund, vermut-
lich weil er schon was Dickeres zwischen
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