Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
spöt-
telt: „Sieh erst mal, ob da nicht irgendwo eine Na-
del auf dem Sitz liegt, sonst geht dir nachher noch die Luft aus.“
Ewegh ignoriert die Ironie des Leutnants. Der
Stuhl ächzt unter der Last.
Lino läßt den Nagelknipser fallen, kreuzt die
Beine und tut so, als interessiere er sich brennend für das Porträt des Raïs* [* Staatspräsident] über meinem Kopf. Dann entfährt es ihm: „Hast du dir die
Haare von einem Gärtner schneiden lassen?“
Eweghs Kopf rührt sich keinen Millimeter. Er
sitzt da, die Arme auf die Schenkel gestützt, und es ist, als hätte er die Anwesenheit des Leutnants
noch immer nicht bemerkt.
Seit dem Tod von Inspektor Serdj** [** Siehe „Morituri“, Haymon 1999] ist Lino zu allen grantig. Vor lauter Kummer hat er sich sogar einen Pferdeschwanz wachsen lassen. Damit, könnte man mei-
nen, zeigt er der Republik, was er von ihr hält. In 18
Wirklichkeit hofft er, sich auf diese Weise die
Fundamentalisten vom Hals zu schaffen.
Sein ketzerischer Look hat die Direktion nicht
gerade begeistert. Aber Lino hat den Dreh raus:
Beim leisesten Vorwurf macht er auf depressiv.
Außerdem, prahlt er, habe er seine Schuhe mit Dy-
namit gefüllt, und wer ihm übereifrig auf die Füße
steige, der gehe in die Luft.
Ich blättere in der Akte des Kolosses: 37 Jahre
alt. Junggeselle. Erfahrener Ausbilder an der Nati-
onalen Polizeischule. Zwei Auszeichnungen. Drei
Diplome. Einen Dienstverweis und ein ganzes Pa-
ket voller Verwarnungen.
„Ewegh ist nicht gerade ein häufiger Vorname.“
„Ich bin Targi* [* Einzahl von Tuareg] .“
„Hat dich die Kantine der Polizeischule dazu ge-
bracht, um deine Versetzung zu bitten? Kommt
nicht oft vor, daß jemand die ruhige Kugel, die er
in der Polizeischule schiebt, freiwillig gegen die
Schinderei im Außendienst eintauscht.“
Er knackt der Reihe nach seine Fingergelenke.
Ansonsten bleibt sein Körper so angespannt wie
die Sehne eines Bogens.
Er antwortet tonlos: „35% aller Polizisten, die ich ausgebildet habe, sind in Ausübung ihres Dienstes
draufgegangen. Daraus habe ich gefolgert, daß
meine Methoden veraltet sind, und beschlossen,
mich vor Ort weiterzubilden.“
Lino wiehert höhnisch, nicht ohne einen Anflug
von Überheblichkeit: „Du sollst sieben Jahre bei
den Fallschirmjägern gewesen sein. Haben sie dich
gefeuert, weil du vom Baum gefallen bist?“
„Weil ich einen Typ gefeuert habe, der sich in
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seinem Dienstgrad wie im Schutz eines Talismans
sonnte.“
„Wenn ich recht verstehe, bist du ein Feuerkopf.“
Der Blick des Targi bleibt kurz am Leutnant hän-
gen, dann kehrt er in seine Ausgangsstellung zu-
rück: „Kommt schon vor.“
Da taucht Baya unter dem Vorwand auf, sie kön-
ne ein Wort in dem Bericht, den ich ihr in die Hand gedrückt habe, nicht entziffern. Während ich es ihr erkläre, macht sie dem Koloß schöne Augen.
Linos Venen schwellen an vor Eifersucht: „Was
ist los mit dir, Süße? Kannst du plötzlich die
Schrift deines Chefs nicht mehr lesen?“
Baya erwidert nichts. Sie nimmt das Manuskript
und trollt sich.
Ich schlage die Akte zu, nehme meine Jacke vom
Nagel und erhebe mich: „Willkommen im Club
Llob, Ewegh Seddig. Zeit für eine kleine Runde.
Kannst dich gleich richtig einleben.“
Unser kleiner Familienausflug führt uns nach
Bab el Oued zur Hauptpost. Während der Fahrt
lasse ich die Sektoren, in denen es ruhig ist, links liegen und konzentriere mich auf die heißen Zonen,
die gegnerischen Kneipen und die illegalen Bordel-
le, in denen die Köpfe der Revolte hin und wieder
Entspannung suchen.
Ewegh sitzt in voller Breite auf der Rückbank
und begnügt sich damit zu knurren. Von Zeit zu
Zeit fährt er auf, woraus ich schließe, daß ihm ein Bärtiger* [* Synonym für Islamist; auch das weiter unten spöttisch als „Nachthemd“ bezeichnete lange Gewand (Qa-mis) gehört zu deren äußerlichen Attributen] aufs Radar geraten ist.
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„Sind die alle polizeilich erfaßt, diese Waldschra-
te im Nachthemd?“ fragt er endlich.
„Bis hin zu den Spitzbärten!“ prahlt Lino, einen
Fuß ungeniert gegen die Windschutzscheibe ge-
stemmt.
Der Koloß zieht den Reißverschluß über seinen
Kauwerkzeugen wieder zu. Fortan ist weiter nichts
als das Knacken seiner Fingergelenke zu verneh-
men.
Die Garküche von Sid Ali hat ein kariöses Loch
in die Ecke der Rue du Pont gefressen, gerade ge-
genüber einem verkommenen Platz, der schwarz
vor
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