Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Lino und Ewegh sind
vor den Disziplinarrat zitiert und müssen sich an-
hören, was für böse Buben sie sind. Dem einen
werfen sie seine Aufmüpfigkeit vor, dem anderen,
das Hauptarbeitsinstrument des Capitaine, sprich
seinen Riecher, ernstlich beschädigt zu haben.
Mir wachsen graue Haare, während ich zerstreut
HIV auf sämtliche Blätter kritzele, die in Reich-
weite meiner Tristesse herumliegen.
Baya ist zweimal gekommen, um mir eine
Dienstanweisung zu erklären. Ich habe kein Wort
kapiert.
Ich bin nicht gut drauf.
Kurz bevor die Überstunde schlägt, dringt der Di-
rektor in meine Höhle vor. Mit einem Finger-
schnippen scheucht er die Sekretärin hinaus, dann
vertraut er mir an: „Ich habe vor zehn Minuten mit
dem Disziplinarrat telefoniert. Der Vorsitzende ist ein Freund von mir. Er hat mir versprochen, nach-sichtig zu sein.“
„Wäre mir unangenehm, wenn er sie öffentlich
kastrieren ließe“, sage ich resigniert.
„Mit etwas Glück wird’s nur ein Verweis.“
Er läßt sich in den Sessel fallen, betrachtet die
Risse, die sich wie Arabesken über die Decke zie-
hen, kommt auf meinen Weltschmerz zurück: „Die
Lage ist ernst, Brahim. Wir haben es mit dem
furchtbarsten aller Fundamentalismen zu tun. Es ist nichts gewonnen, wenn wir uns untereinander ver-37
krachen. Kripo, Sitte, Geheimdienst – für den
Feind ist das alles eins.“
Ich zünde eine Zigarette an, atme den Rauch
durch die Nase aus. Der Boß weicht zur Seite, um
dem Qualm zu entgehen.
„Versuche mal, die Stirn zu runzeln, wenn du
deine Männer siehst, Kommissar. Ich wünsche, daß
du sie nachher gründlich zusammenstauchst. Wir
sitzen tief genug in der Scheiße, ich will unter meinem Dach keine Gangster aufziehen.“
Er steht auf, macht ein Gesicht, als fiele ihm
plötzlich ein unendlich wichtiges Detail ein: „Hätte ich fast vergessen. Was nützt es ihm eigentlich,
deinem Lino, sich so zum Gespött zu machen?
Was soll der Zopf in seinem Nacken? Versuch ihn
zur Vernunft zu bringen, Himmel noch mal. Ihm
fehlen ja nur noch die Titten.“
Ich nicke zustimmend.
Er fügt hinzu: „Und dein Koloß, bist du sicher,
daß er sie noch alle hat?“
„Seine Fäuste jedenfalls, die hat er noch alle, da
gibt es nichts.“
„Bring ihm bitte bei, daß er sie künftig in der Ho-
sentasche läßt. Der ist noch nicht ganz bei uns an-
gekommen.“
„Werde sehen, was sich machen läßt.“
Er blickt dem sich kräuselnden Rauch nach,
schüttelt unmerklich den Kopf.
„Ich habe heute früh Capitaine Berrah gesehen.
Habe ihn nicht wiedererkannt. Man könnte meinen,
ein Windstoß hätte ihm die Tür vom Tresor ins
Gesicht geknallt. Der Ärmste, seine Ray Ban kann
er jetzt wohl verschrotten.“
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„Wirklich betrüblich, dabei setzen sie sich beim
Geheimdienst so gern in Szene.“
Er lächelt. Kommt selten genug vor, aber dies ei-
ne Mal steht es ihm echt gut.
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Lino hat den Vormittag einsam in der Einsatzzent-
rale verbracht, mit seinem Notizbuch, seinem Zopf
und Bergen von Archivmaterial, um sich innerlich
wie äußerlich wieder in Form zu bringen. Gegen
Mittag geruht er, uns zu empfangen. Er hat zwei
Pinnwände aufgestellt. Auf der linken stecken
großformatige Fotos von Ben Ouda und Professor
Abad, auf der rechten die Fotos von vier zottigen
Gesellen, die dreinblicken, als hätten sie das Rasieren definitiv unter die Todsünden eingereiht.
Lino wartet geduldig, bis ich mich aus meiner Ja-
cke geschält und mit dem Targi auf den Metall-
stühlen Platz genommen habe, dann räuspert er
sich und bittet um Ruhe. Eine Mücke beginnt zu
surren. Wir halten die Luft an.
Er ist konzentriert wie ein Messerwerfer, so, als
hinge davon seine Karriere ab, fährt zackig seinen
Drehkuli aus und deutet damit auf die Pinnwand
zur Rechten.
„Der Hausmeister von der Place de la Charité
Nummer 14 und weitere Augenzeugen haben vier
der fünf Mörder des Diplomaten und des Profes-
sors identifiziert. Es handelt sich um – erstens:
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Mérouane Sid Ahmed, genannt TNT, die reinste
ökologische Katastrophe, Junggeselle, ohne Beruf,
stammt aus Aïn Defla, war an beiden Attentaten
beteiligt … zweitens: Blidi Kamel, 30 Jahre alt,
verheiratet, vier Kinder, Trödler in El Harrach, war an beiden Attentaten beteiligt … drittens: Zaddam
Brahim, 32 Jahre alt, Afghanistanveteran, war am
zweiten Attentat nicht beteiligt … viertens: Gaïd
Ali, genannt ‚der Friseur’, 25 Jahre alt, der
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