Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Dichter. Das wäre wie eine Herde ohne Hirte, eine Zeremonie ohne feierlichen Charakter, ein Subjekt ohne Verb. Literatur ist eine Sublimierung. Sie erhebt einfache Leute in den Rang von Menschen, macht aus ihnen verantwortungsbewußte und aufgeklärte Personen, die Sicherheit geben. Ein Land ohne Kultur ist wie ein ungenütztes Gelände, das nach und nach zur Schutthalde wird und allem möglichen Ungetier ausgesetzt ist. Es gibt kein größeres Unheil als ein Leben ohne Poesie, kein schlimmeres Schicksal als jenes beschränkter Menschen. Ich glaube an den Schriftsteller, wie ich an die Propheten glaube, zwar wurde ihm keine Offenbarung zuteil, aber das, was er den Menschen weitergibt, ist nahezu so wunderbar wie eine kosmische Ein-gebung.
Du lebst nach wie vor in Algerien, und auch in deinem nächsten Umfeld wissen nur wenige, daß du Schriftsteller bist. Wie muß man sich die Umstände vorstellen, unter denen du schreibst?
Ich lebe ganz normal unter den Meinen, manchmal besser manchmal schlechter gelaunt, den plötzlichen Stimmungs-wechseln meiner Umgebung angepaßt. Ich schreibe in einem Umfeld, das in keinster Weise mit meiner literarischen Berufung vereinbar ist, unter Bedingungen, die über jeden Verdacht erhaben sind; deshalb auch mein Pseudonym, das an mir klebt wie ein zu enges Hemd.
Ist Schreiben für dich eine Art, bewußt zu agieren, oder ist es eine Reaktion?
Schreiben war für mich immer ein Kampf. Jedes Buch, das ich vollendet habe, ist ein Sieg über die Mittelmäßigkeit und die Bedeutungslosigkeit, zu der man mich nötigen will.
Das Französische, die Sprache des ehemaligen Kolonisators, nimmt in Algerien noch immer einen Sonderstellung ein.
Teilweise ist die Beziehung zur französischen Sprache jedoch gespannt. Manche frankophonen algerischen Autoren spre-185
chen sogar von einer Art „Haßliebe“. Was für eine Beziehung hast du zur französischen beziehungsweise zur arabischen Sprache?
Ich spreche beide Sprachen. Meine ersten literarischen Versuche machte ich in Arabisch, mit vierzehn wechselte ich ins Französische. Diesen Übergang erläutere ich in meinem nächsten Buch. Meine Beziehung zur französischen wie auch zur arabischen Sprache ist sehr freundschaftlich. Es gibt übereifrige Schwachköpfe, denen das mißfällt. Diese Leute sind Rassisten und Fundamentalisten. Sie können mich nicht einschüchtern, im Gegenteil, ihr blasierter Chauvinismus weckt in mir die Verachtung, die es braucht, um ihn zu überwinden. Mein Verhältnis zur französischen Sprache ist für mich eine persönliche Angelegenheit. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil meiner selbst, wehe dem, der es wagt, sie zu beschmutzen.
Du erwähnst einige – vor allem französische und arabische –
Schriftsteller in deinen Romanen. Welche Autoren liest du, und welche Denker und Schriftsteller haben dich besonders geprägt? Befinden sich auch deutschsprachige Autoren darunter?
Ich habe eine sehr vielseitige Bildung und mag alle Literatu-ren der Welt, von John Steinbeck bis Tolstoj, von Nagib Machfus bis Albert Camus. Von den deutschen Autoren habe ich das Gesamtwerk von H. H. Kirst in meiner Jugend gelesen, Thomas Mann, ein wenig Goethe und viel Nietzsche.
Vor allem in Frankreich haben deine Romane einen sehr großen Erfolg; sie sind aber auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt. Genießt du deinen Erfolg und die Art, wie deine Bücher aufgenommen werden?
Meine Bücher sind u.a. ins Englische, Spanische, Deutsche, Holländische, Griechische, Türkische, Portugiesische und Italienische übersetzt. Das Interesse von Seiten der Verleger wird zunehmend größer. Ich weiß nicht genau, wie gut sich meine Bücher im Ausland verkaufen. In Frankreich und Italien hatten sie jedenfalls großen Erfolg, in Großbritannien, 186
Spanien und Holland riefen sie starkes Medieninteresse hervor, auch in den arabischen Ländern, wo sie erstaunlicher-weise noch nicht in Übersetzung vorliegen.
Meine Anonymität ist für die Verbreitung meiner Romane sehr hinderlich. Dennoch habe ich eine begeisterte Leser-schaft, die meine Haltung respektiert und meine Situation ein wenig versteht. Man muß auch sehen, daß es für manche nur schwer zu akzeptieren und auch verdächtig ist, wenn sich jemand im Verborgenen hält. Ich hoffe, in naher Zukunft auf die Menschen zugehen zu können. An diesem Tag werde ich voll Zorn sein, aber ich werde keinerlei Rachegefühle in mir tragen.
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