Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Inneren finden sich
Patronenhülsen. Es war eine 7,62er. Vermutlich
eine Kalaschnikow. Ist gegen dreizehn Uhr pas-
siert. Der Professor wollte gerade nach Benak auf-
brechen.“
Der Leichnam des Professors liegt verzerrt auf
der Freitreppe, die Brille zertreten davor auf dem
Weg. Er ist ein alter Mann, weißhaarig, hager und
hochgewachsen, mit einem Gesicht, das aussieht
wie mit dem Meißel gehämmert. Mit der Linken
hält er noch den Mantelkragen hoch, als wolle er
sich in einem absurden Selbstverteidigungsreflex
vor dem Kugelhagel schützen.
„Sie waren in einem grauen Peugeot“, fährt Bliss
fort, um uns zu verstehen zu geben, daß er nichts
dem Zufall überlassen hat. „Ich habe die Auto-
nummer gleich an die Zentrale durchgegeben.“
„Danke, du wirst nicht mehr gebraucht.“
Mein trockener Ton verschlägt ihm die Sprache.
Er verschwindet. Und es ist, als ginge die Sonne
auf.
Von seinem Geunke befreit, kann ich mich end-
lich ungestört der Tragödie zuwenden. Ehe er den
Geist aufgegeben hat, hat der Professor noch etwas
auf eine Treppenstufe gekritzelt. Das Blut ist ge-
ronnen, doch die Fingerspuren sind gut erkennbar:
„HIV“ steht da zu lesen.
„Hast du noch ein paar Vögelchen im Kasten?“
frage ich den Fotografen.
„Noch ein ganzes Nest voll, Chef.“
„Dann mach mir eine Großaufnahme von diesen
seltsamen Großbuchstaben.“
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„Finger weg!“ tobt ein helles Stimmchen.
Ein Mickerling im Mafioso-Anzug, der wie ein
Billig-Imitat ausschaut, rennt den Polizisten, der
vor der Villa Wache steht, über den Haufen und
stürzt auf mich zu, wobei er mir sein Abzeichen
entgegenhält, als schwinge er das Kruzifix vor ei-
nem Vampir.
„Capitaine Berrah vom Geheimdienst. Meine
Leute werden gleich da sein. Packen Sie Ihren Zir-
kus zusammen und machen Sie, daß Sie wegkom-
men.“
„Sachte, sachte, Capitaine. Sie werden uns noch
einen Schreck einjagen.“
„Mir egal. Packen Sie Ihren Krempel ein und
ziehen Sie Leine, Kommissar.“
„Noch ein falscher Ton, du Klapphorn“, lehnt
Lino sich auf, „und du landest gleich selber mitten im Krempel!“
Da ist er baff, der Kollege! Er runzelt verstört die Brauen, total überrascht von der Aufsässigkeit des
Untergebenen, sieht mich an und fragt, wobei er
mit dem Daumen auf ihn zeigt: „Wo kommt denn
diese Kaulquappe her?“
„Aus Jupiters Schenkel“, antworte ich.
Er macht auf beleidigte Gottheit, der Capitaine,
nimmt den Himmel, dann den Erdboden ins Visier,
ehe er mich, ohne den Daumen von der Schulter zu
nehmen, erneut befragt: „Wie hat er mich doch
gleich genannt?“
„Klapphorn“, bestätigt Lino im Brustton der Ver-
achtung. „Kleines Loch und große Klappe.“
Erst da läßt sich der Capitaine dazu herbei, dem
Lästermaul ins Angesicht zu blicken, wobei er sich
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den Daumen gegen die Brust drückt: „Ich, ein
Klapphorn?“
„Ja! Du, ein Klapphorn!“
Ich versuche, sie zu beschwichtigen, gemäß
Rundschreiben Nummer 129 des Innenministeri-
ums. Der Capitaine weigert sich, Waffenstillstand
zu schließen. Sein Gesicht ist verzerrt, er wiegt
sich auf der Stelle hin und her. Ohne den Daumen
von seiner Brust zu lösen, streckt er den Zeigefin-
ger Richtung Lino aus: „Du wirst bald von Berrah
reden hören, kleiner Kerl. Und dein Chinesen-
Zöpfchen, das scher ich dir mit dem Rasenmäher
ab.“
„Wenn du schon dabei bist, ich hätte vorne noch
was, das auch mal geschoren werden müßte.“
Da zuckt Berrahs Hand ins Jackett. Eine unglück-
liche, höchst bedauerliche Geste, denn im selben
Moment fährt Ewegh seinen Arm aus. Und James
Bond 000 kreiselt zweimal um sich selbst, ehe er
mit lädierter Nase auf dem Gehweg landet. Er
stammelt aufgelöst: „Ich wollte doch nur meinen
Kuli rausholen, um seine Dienstnummer aufzu-
schreiben.“
Und Ewegh, seelenruhig: „Ich dachte, der greift
nach seiner Knarre.“
Damit ist der Fall für ihn erledigt.
Die Sonne quält sich hinter dem Märtyrerdenkmal
hervor. Sie würde gerne mit den Wolken flirten,
doch sie fürchtet, man könnte sie für eine Wildente halten. Der Himmel überzieht mit seinem Blues die
zitternde Bucht. Algier ist reglos vor Kummer,
erstarrt wie ein Clochard, der seinen Rausch aus-
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schläft. In sich gesunken, müht sich die Stadt, ihre nervösen Zuckungen zu unterdrücken, um nicht
plötzlich zu explodieren.
In meinem stressigen Büro versuche ich vergeb-
lich, im Kaffeesatz zu lesen.
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