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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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straffte sich und machte einen Schritt auf ihn zu, ohne ihn zu bedrohen; der Alte zuckte ein wenig zurück, gab aber seine Stellung zwischen ihm und der Frau nicht auf.
    Brunetti wedelte mit seinem Notizbuch. »Sehen Sie das, Signore? Sehen Sie dieses Notizbuch? Hier ist das gesamte Arbeitsleben dieser Frau verzeichnet. Aber die Jahre 1988 und 1989 fehlen und wurden bei der Berechnung ihrer Rente nicht berücksichtigt.« Er sah aufgebracht zu ihr hin. »Also bekommt sie dafür kein Geld«, sagte er triumphierend, als geschehe ihr das in Anbetracht der Unfreundlichkeit dieses Mannes nur recht.
    »Ich habe sie nach diesen Jahren gefragt«, machte Brunetti seiner Verärgerung Luft. Da bemühte er sich eigens hierher, um ein Problem zu lösen, und was war der Dank? Erst bekam er nichts aus der Frau heraus, und jetzt legte sich dieser Mann mit ihm an. »Als ob man mit einer Statue reden würde.« Er beugte sich vor, und diesmal wich der alte Mann [185]  einen Schritt zurück. »Und dann muss ich mir auch noch Ihre Sprüche anhören«, ereiferte sich Brunetti.
    Er holte ein paarmal tief Luft, als versuche er, sich zu beruhigen; aber wie jeder Bürokrat war auch er einmal mit seiner Geduld am Ende. »Da will man den Leuten helfen und wird dafür beschimpft.«
    Brunetti ließ den Alten nicht aus den Augen, während er ihn immer wütender anherrschte. Der Mann sank in sich zusammen, als hätte Brunetti mit einer Nadel die Luft aus ihm herausgelassen. Seltsamerweise lief jetzt der Rest seines Gesichts rot an, während Wangen und Nase erschreckend bleich wurden. Er warf einen kurzen Blick zu seiner Frau hinüber - und Brunetti spürte förmlich die Angst seines Gegenübers, dass sie mitbekommen haben könnte, was der Mann mit seiner Einmischung angerichtet hatte.
    Der Alte hob beschwichtigend die Hände. »Signore, Signore«, sagte er. Keine Spur mehr von aggressivem Gebaren. Auf seinen Lippen klebte ein dünnes Lächeln.
    »Nein«, sagte Brunetti, klappte das Notizbuch vor der Nase des anderen zu und stopfte es in seine Tasche zurück. »Nein. Ich kann meine Zeit nicht mit Leuten wie Ihnen verschwenden. Das hat man davon, wenn man anderen einen Gefallen tun möchte.« Er drückte noch ein wenig mehr auf die Tube und blaffte: »Dann warten Sie eben auf den amtlichen Bescheid, so wie alle anderen auch.«
    Er wandte sich ab und stapfte zur Tür. Der alte Mann kam ihm zögernd nach, die Hände flehend erhoben. »Aber Signore, das habe ich nicht gewusst. Ich wollte nicht ... Sie braucht ...«, jammerte er wie einer, der seine Pfründe entschwinden [186]  sieht und plötzlich erkennt, dass er nun den Mühlen der Bürokratie ausgeliefert ist.
    Brunetti, sichtlich entrüstet, ging aus dem Zimmer und marschierte den Flur hinunter. Er gelangte zur Haustür und verließ die casa di cura, ohne die Novizinnen oder eine der Schwestern noch einmal zu sehen.

[187]  18
    K aum war er zurück auf der Straße, streifte Brunetti den gereizten Bürokraten wieder ab und bereute sein überstürztes Verhalten. Das Theater hätte er sich sparen können, diesen plumpen Auftritt, aber irgendwie hatte er das Gefühl, der Mann solle besser nichts davon ahnen, dass die Behörden sich für das Pflegeheim oder die Leute darin interessierten. Daher hatte er, ohne lange zu überlegen, dem Impuls nachgegeben, sein wahres Anliegen zu verschweigen: Sollte er mit dem Alten jemals in seiner Eigenschaft als Vertreter des Gesetzes zu tun bekommen, konnte sein Verwirrspiel allerdings zu juristischen Scherereien führen. Er hatte Prozesse erlebt, die an geringeren Lappalien gescheitert waren.
    Doch wie kam er darauf, an einen Prozess zu denken? Was war denn passiert? Ein alter Choleriker hatte ihn angefaucht, und eine geistig nicht unbedingt zurechnungsfähige Frau hatte ihn vor Problemen gewarnt. Wann gab es die nicht?
    Der alte Mann bemerkte einen Fremden in ihrem Zimmer und witterte Unheil, weil er annahm, dass Brunetti Fragen gestellt hatte. Wozu diese Aufregung? Brunetti ließ die Szene vor seinem inneren Auge noch einmal ablaufen. Er hatte erklärt, es sei unmöglich, irgendwelche Auskünfte von ihr zu erhalten. Der Zorn des Mannes war jedoch erst verraucht, als sich die Möglichkeit abzeichnete, dass die Frau Geld bekommen könnte.
    [188]  Brunetti gestattete sich selten den Luxus, Leute, die er im Zusammenhang mit seiner Arbeit kennenlernte, unsympathisch zu finden. Natürlich sammelte er erste Eindrücke, manchmal sehr starke. Und häufig waren sie

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