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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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darin, ins System hineinzukommen - das ist [191]  in den meisten Fällen ein Kinderspiel sondern herauszufinden, wo die Informationen abgelegt sind.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Unterschied verstehe«, gab Brunetti zu.
    Sie überlegte, wie sie das jemandem mit seinen beschränkten Talenten verständlich machen könnte. »Das ist so ähnlich wie bei einem Einbruch, Signore. Ins Haus einzudringen ist einfach, besonders wenn die Tür nur ins Schloss gefallen ist. Aber wenn Sie einmal drin sind, müssen Sie feststellen, dass die Bewohner unordentliche Leute sind: schmutziges Geschirr im Schlafzimmer, alte Schuhe und Zeitungen in der Küche.« Als sie merkte, dass er zu begreifen begann, fuhr sie fort: »Und in diesem Durcheinander leben sie von Beginn an, das heißt, alles, was sich im Lauf der Jahre angesammelt hat, ist zu einem undurchdringlichen Chaos geworden, und selbst wenn man nur so etwas Simples wie einen Teelöffel braucht, muss man das ganze Haus absuchen, Zimmer für Zimmer.«
    Nicht dass er das unbedingt wissen wollte, aber ihre Erklärung drängte ihm die Frage auf: »Geht es in allen öffentlichen Ämtern so zu?«
    »Zum Glück nicht, Commissario.«
    »Welche sind die Besten?«, fragte er, ohne sich der Zweideutigkeit bewusst zu sein.
    »Oh«, sagte sie. »Von ›Besten‹ kann keine Rede sein; es gibt nur welche, die weniger schlecht sind.« Als er damit nicht zufrieden schien, meinte sie: »Herauszufinden, wer einen Pass bekommen hat, ist normalerweise einfach. Oder einen Waffenschein. Diese Akten werden in Ordnung gehalten. Aber ab da wird es verworren, kein Mensch weiß, wer einen permesso [192]  di soggiorno oder eine Arbeitserlaubnis hat, und niemand kennt die Vorschriften oder Kriterien, nach denen sie vergeben werden.«
    Da all dies in die Zuständigkeit des Ministeriums fiel, für das Brunetti arbeitete, überraschte es ihn kaum. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und fragte: »Und die Schlimmsten?«
    »Das kann ich nicht wirklich beurteilen«, sagte sie mit bewundernswert geheuchelter Bescheidenheit, »aber die, wo ich mich am schlechtesten, na ja, zurechtfinde - auch wenn es noch so leicht ist, dort hineinzukommen -, das sind die Ämter, die irgendwelche Zulassungen erteilen, oder vielleicht sollte man besser sagen, die Behörden, die uns eigentlich beschützen sollen.« Als sie sein Stirnrunzeln sah, erklärte sie: »Ich meine die Ämter, die zum Beispiel überprüfen sollen, ob Krankenschwestern die richtigen Diplome haben oder ob sie ihre Ausbildung wirklich an der von ihnen angegebenen Schule gemacht haben. Oder auch Ärzte, Psychiater und Zahnärzte.« Sie sprach so leidenschaftslos wie ein frustrierter Forscher, der seine Ergebnisse mitteilt. »Dort herrscht eine erschreckende Verwahrlosung. Wie gesagt, in deren Computer zu gelangen, ist ganz einfach, aber danach wird es äußerst schwierig.« Barmherzig und großmütig wie immer meinte sie dann noch: »Für die Leute dort natürlich auch, die Ärmsten.«
    Brunettis Familie sah gelegentlich ein Fernsehmagazin, das sich der Aufdeckung besonders krasser Fälle staatlicher Nachlässigkeit widmete. Aus Gründen, die er nicht nachvollziehen konnte, fanden seine Kinder das herrlich komisch, während er und Paola nicht fassen konnten, mit welcher [193]  Gleichgültigkeit die Behörden auf den Vorwurf reagierten, bestimmte Missbrauche nicht bemerkt oder nicht abgestellt zu haben. Wie viele falsche Ärzte hatte man nicht schon entlarvt, wie viele Scharlatane? Und wie viele von ihnen hatten danach einfach weitermachen dürfen?
    Brunetti verscheuchte diese Gedanken. »Ich wäre sehr dankbar für alles, was Sie über die Frau oder ihren Mann herausfinden könnten.«
    »Selbstverständlich, Signore«, atmete Signorina Elettra auf, weil das Gespräch über ihre Forschungen im Cyberspace damit offenbar beendet war. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Und dann wieder ganz sachlich: »Wie weit zurück soll ich gehen?«
    »Bis Sie auf etwas Interessantes stoßen«, sagte er leichthin, doch irgendwie war es gar nicht lustig. Also machte er sich auf den Weg in sein Büro.
    Kaum saß er am Schreibtisch, bekam Brunetti Hunger; er sah auf die Uhr: schon nach drei, wie er überrascht feststellte. Er rief zu Hause an, niemand meldete sich, und er legte auf, bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete. Paola nahm grundsätzlich kein Handy mit, und die Kinder, beide wahrscheinlich wieder in der Schule, wären sowieso keine Hilfe. Er

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