Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
–telefonate von allen Seiten zugegangen, auch die Opposition hatte gratuliert. Im Interview wirkte Cardamone bewegt, aber entschlossen. Er erklärte, er werde keinen Einsatz scheuen, um Werk und Person seines Vorgängers seligen Angedenkens in Ehren zu halten, und er schloß mit der Versicherung, daß er der neuen Partei »unermüdlich all seine Kraft und sein Fachwissen« zur Verfügung stellen werde.
»Welch ein Glück, daß er die der Partei vermacht.«
Montalbano konnte sich den Kommentar nicht verkneifen, hatte doch das Fachwissen Cardamones in der Provinz mehr Krüppel geschaffen, als man im allgemeinen nach einem schweren Erdbeben zählt. Die Worte, die der Journalist sogleich hinzufügte, ließen den Commissario die Ohren spitzen. Um sicher zu sein, daß Dottor Cardamone seinen eigenen Weg geradlinig gehen könne, ohne jene Prinzipien und Männer zu verleugnen, die das Beste der politischen Tätigkeit des seligen Ingenieurs verkörperten, hatten die Mitglieder des Sekretariats den Advokaten Pietro Rizzo, den geistigen Erben Luparellos, gebeten, den neuen Sekretär zu unterstützen. Nach einigen verständlichen Vorbehalten gegen die große Bürde des Amtes, die der unerwartete Auftrag mit sich brachte, hatte Rizzo sich überreden lassen und akzeptiert. Im Interview, das »Televigàta« ausstrahlte, erklärte der Advokat, auch er gerührt, er habe die schwere Last auf sich genommen, um dem Andenken seines Lehrmeisters und Freundes treu zu bleiben. Dessen Losungswort sei immer nur das eine gewesen: dienen.
Montalbano zuckte überrascht zusammen. Wie denn? Cardamone, der Neugewählte, duldete die offizielle Gegenwart dessen, der seines größten Gegners treuester Mitarbeiter gewesen war?! Doch sein Erstaunen währte nicht lange, da der Commissario es nach kurzem Nachdenken als naiv erkannte. Schon immer hatte sich Luparellos Partei durch ihre gleichsam natürliche Bereitschaft zum Kompromiß, zum Mittelweg, von anderen abgehoben. Es war durchaus möglich, daß Cardamone noch nicht fest genug im Sattel saß, um alleine zurechtzukommen, und folglich eine Stütze für notwendig erachtete. Montalbano schaltete auf einen anderen Kanal um. Auf »Retelibera«, der Stimme der linken Opposition, sprach Nicolò Zito, der meistgehörte Kommentator. Er erklärte, wie es kam, daß zara zabara, um es auf sizilianisch auszudrücken, oder mutatis mutandis, um es auf lateinisch zu sagen, die Dinge auf der Insel im allgemeinen und in der Provinz Montelusa im speziellen niemals ins Wanken gerieten, selbst wenn das Barometer auf Sturm stand. Er zitierte, und es bot sich geradezu an, den berühmten Satz des sizilianischen Fürsten Salina, alles müsse sich verändern, damit alles so bleibe, wie es ist. Einerlei ob Luparello oder Cardamone, schloß er, es waren nur die beiden Seiten derselben Medaille, und die Legierung dieser Medaille war kein anderer als der Advokat Rizzo.
Montalbano eilte ans Telefon, wählte die Nummer von »Retelibera« und verlangte Zito. Mit dem Journalisten verband ihn eine gewisse Sympathie, ja, es war beinahe Freundschaft.
»Was willst du, Commissario?«
»Dich treffen.«
»Mein lieber Freund, morgen früh fahre ich nach Palermo, und ich werde mindestens eine Woche weg sein. Ist es in Ordnung, wenn ich in einer halben Stunde zu dir komme? Koch mir was, ich habe Hunger.«
Ein paar Spaghetti all'aglio e olio waren schnell zubereitet. Er öffnete den Kühlschrank, Adelina hatte ihm einen üppigen Teller Gamberetti vorgekocht. Das reichte für vier. Adelina war die Mutter zweier Vorbestrafter, den jüngeren der beiden Brüder hatte Montalbano vor drei Jahren persönlich verhaftet. Er saß noch im Gefängnis.
Als Livia im vergangenen Juli für zwei Wochen zu ihm nach Vigàta gekommen war und er ihr die Geschichte erzählt hatte, war sie entsetzt gewesen. »Spinnst du? Die wird sich doch bestimmt eines Tages rächen und dir Gift ins Süppchen streuen.«
»Aber weswegen sollte sie sich rächen?«
»Immerhin hast du ihren Sohn verhaftet!«
»Na, hör mal, ist das etwa meine Schuld? Adelina weiß sehr gut, daß nicht ich schuld bin, sondern ihr Sohn. Schließlich war er allein so dämlich, sich schnappen zu lassen. Ich habe mich völlig fair verhalten und bei seiner Verhaftung weder Tücken noch schmutzige Tricks angewandt. Das verlief alles ganz vorschriftsmäßig.«
»Eure verdrehte Art zu denken kümmert mich einen Dreck. Du mußt sie entlassen.«
»Aber wenn ich sie entlasse, wer hält dann mein
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