Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
»Inwiefern Engländer?«
»Insofern, als ihr euch streng gehütet habt, Luparello bloßzustellen, wie ihr es in anderen Fällen bestimmt schon längst getan hättet. Man stelle sich vor, der ehrenhafte Ingegnere stirbt mit heruntergelassenen Hosen am Herzschlag, in einer Art Bordell unter freiem Himmel, inmitten von Nutten, Zuhältern und Strichern, das ist doch skandalös. Und was macht ihr? Statt die Gelegenheit bei den Hörnern zu packen, stellt ihr euch alle in Reih und Glied auf und breitet einen Schleier der Barmherzigkeit über die näheren Umstände dieses Todesfalls.«
»Es ist eben nicht unsere Art, aus dem Unglück anderer Kapital zu schlagen«, sagte Zito. Montalbano begann aus vollem Halse zu lachen. »Nicolò, würdest du mir einen großen Gefallen tun? Scher dich doch mitsamt deiner ›Retelibera‹ zum Teufel!«
Nun fing auch Zito an zu lachen.
»Also gut, folgendes hat sich zugetragen: Wenige Stunden nachdem die Leiche gefunden worden war, eilte der Awocato Rizzo zum Baron Filò di Baucina, Roter Baron genannt, Millionär, aber Kommunist, und bat ihn händeringend, daß ›Retelibera‹ ja nichts über die Todesart verlauten lasse. Er appellierte an die Ritterlichkeit, welche die Vorfahren des Barons anscheinend in alten Zeiten bewiesen haben. Wie du weißt, hält der Baron achtzig Prozent unseres Senders. Das ist alles.«
»Red keinen Scheiß, von wegen alles. Und du, Nicolò Zito, der du dir die Achtung der Gegner erworben hast, weil du immer sagst, was du sagen mußt, gibst dem Baron ein zackiges Jawohl zur Antwort und ziehst den Schwanz ein?«
»Welche Farbe haben meine Haare?« fragte Zito. »Rot.«
»Montalbano, ich bin außen und innen rot, ich gehöre zu den Kommunisten, die voller Bosheit und Groll stecken, eine Rasse, die im Aussterben begriffen ist. Ich habe die Anweisung akzeptiert, weil ich glaube, daß derjenige, der darum bat, das Andenken dieses armen Kerls in Ehren zu halten, ihm in Wahrheit gar nicht so wohlgesinnt war.«
»Das habe ich jetzt nicht verstanden.«
»Ich werd's dir erklären, du Unschuldslamm. Wenn du einen Skandal schnellstmöglich in Vergessenheit geraten lassen willst, dann mußt du nur so viel wie möglich darüber sprechen, im Fernsehen, in den Zeitungen. Du trittst die Story breit, wieder und immer wieder; nach einer Weile haben die Leute die Schnauze voll: Du liebe Zeit, zieh'n die das in die Länge! Warum hör'n sie nicht endlich auf damit? In einem Zeitraum von vierzehn Tagen bewirkt diese Übersättigung, daß niemand mehr auch nur ein Wort über den Skandal hören will. Verstanden?«
»Ich glaube, ja.«
»Wenn du aber über alles den Schleier des Schweigens legst, dann fängt das Schweigen an zu sprechen, streut Gerüchte aus, die hören überhaupt nicht mehr auf, werden immer hemmungsloser. Soll ich dir ein Beispiel nennen? Weißt du, wieviele Anrufe wir in der Redaktion erhalten haben, eben wegen unseres Schweigens?
Hunderte. Ist es wahr, daß der Ingegnere es mit zwei Frauen gleichzeitig im Auto getrieben hat? Stimmt es, daß der Ingegnere auf die Sandwich-Nummer versessen war, und während er eine Hure bumste, besorgte es ihm ein Neger von hinten? Und der letzte, von heute abend: Ist es wahr, daß Luparello seinen Nutten sagenhafte Schmuckstücke schenkte? Es heißt, sie hätten eines an der Mànnara gefunden. Übrigens, du weißt nicht zufällig etwas über diese Geschichte?«
»Ich? Nein, das ist doch bestimmt nur ausgemachter Blödsinn«, log der Commissario gelassen. »Siehst du? Ich bin sicher, daß in einigen Monaten irgendein Idiot zu mir kommt und mich fragt, ob es stimmt, daß der Ingegnere es mit vierjährigen Kindern getrieben und sie dann mit Kastanien gefüllt verspeist habe. Sein Ansehen ist auf immer und ewig dahin, die Geschichte wird zur Legende. Und jetzt hoffe ich, daß du verstanden hast, warum ich mit Ja geantwortet habe, als man mich bat, das Ganze zu verschweigen.«
»Und Cardamone, wo steht der?«
»Keine Ahnung. Seine Wahl ist höchst seltsam. Weißt du, im Provinzsekretariat saßen nur Männer Luparellos, außer zweien, die zu Cardamone gehörten und dort aus optischen Gründen geduldet wurden, nämlich um zu zeigen, daß man demokratisch ist. Es gab keinen Zweifel, daß der neue Sekretär nur ein Gefolgsmann des Ingegnere sein konnte und mußte. Statt dessen der Schlag ins Kontor: Rizzo steht auf und schlägt Cardamone vor. Die anderen des Clans sind bestürzt, wagen aber nicht zu protestieren. Wenn Rizzo so
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