Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
nach oben, er war ein Handlanger von Zio Stefano, ein Verbrecher. Systematisch schlug ich seinen Kopf zu Brei. Dann drehte ich durch. Ich wanderte durch die Zimmer und sang dabei. Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?«
»Ja, leider.«
»Sie sagen ‚leider’, Sie haben also keine Befriedigung darüber empfunden. Bei mir war es mehr als Befriedigung, es war Freude. Ich war glücklich, ich sang ja sogar. Dann fiel ich auf einen Stuhl, vom Grauen überwältigt, vom Entsetzen über mich selbst. Ich haßte mich. Sie hatten es geschafft, einen Mörder aus mir zu machen, und ich war nicht fähig gewesen zu widerstehen, sondern war sogar glücklich darüber. Das Blut in mir war vergiftet, obwohl ich versucht hatte, es zu reinigen – mit Vernunft, Erziehung, Bildung oder was Sie sonst wollen. Es war das Blut der Rizzitanos, meines Großvaters, meines Vaters, von Männern, denen anständige Leute im Dorf aus dem Weg gingen. Ich war wie sie und schlimmer als sie. In meinem Delirium glaubte ich dann, eine Lösung zu sehen. Wenn Mario und Lisetta weiter schlafen würden, dann wäre dieses ganze Grauen nie geschehen. Ein Alptraum, eine Horrorvision. Da...«
Der alte Mann war wirklich am Ende seiner Kräfte, Montalbano fürchtete, er könne einen Schlaganfall erleiden.
»Lassen Sie mich weitersprechen. Sie nahmen die beiden Leichen, brachten sie in die Höhle und legten sie dort zurecht.«
»Ja, aber das sagt sich so leicht. Ich mußte sie einzeln hineintragen. Ich war erschöpft und buchstäblich blutgetränkt.«
»Wurde die zweite Höhle, die, in die Sie die Toten brachten, auch zum Lagern der Schwarzmarktware benutzt?«
»Nein. Mein Vater hatte den Eingang mit Steinen trocken zugemauert. Ich nahm sie heraus und tat sie am Schluß wieder an ihren Platz. Um sehen zu können, benutzte ich Taschenlampen, davon hatten wir viele draußen auf dem Land. Jetzt mußte ich noch die Symbole des Schlafes finden, die aus der Legende. Bei dem Krug und der Schale war es einfach, aber der Hund? In Vigàta war an Weihnachten des vorigen Jahres...«
»Ich weiß«, sagte Montalbano. »Den Hund hat bei der Versteigerung jemand von Ihrer Familie gekauft.«
»Mein Vater. Aber weil er meiner Mutter nicht gefiel, kam er in eine Abstellkammer im Keller. An diesen Hund erinnerte ich mich. Als ich fertig war und die große Höhle mit der steinernen Tür geschlossen hatte, war es tiefe Nacht, und ich war fast heiter. Jetzt schliefen Lisetta und Mario wirklich, es war nichts geschehen. Deshalb machte mir die Leiche, die noch oben im Haus lag, gar nichts aus, sie existierte nicht, sie war ein Ergebnis meiner vom Krieg verwirrten Phantasie. Dann glaubte ich, die Welt ginge unter. Das Haus vibrierte unter den Schüssen, die in wenigen Metern Entfernung einschlugen, aber es war kein Flugzeuglärm zu hören. Es waren die Schiffe, sie schossen vom Meer aus. Ich rannte hinaus, ich fürchtete, unter den Trümmern begraben zu werden, wenn das Haus getroffen würde. Am Horizont schien der Tag anzubrechen. Was war das nur für ein Licht? Hinter mir flog das Haus buchstäblich in die Luft, ein Splitter traf mich am Kopf, und ich verlor das Bewußtsein. Als ich die Augen wieder öffnete, war das Licht am Horizont noch intensiver, in der Ferne hörte man fortwährendes Dröhnen. Ich schaffte es, mich bis zur Straße zu schleppen, machte Zeichen, winkte, aber kein Fahrzeug hielt an. Alle waren auf der Flucht. Ich lief Gefahr, von einem Lastwagen überfahren zu werden. Da bremste jemand, ein italienischer Soldat hob mich in den Wagen. Aus dem, was sie sagten, begriff ich, daß die Amerikaner gelandet waren. Ich flehte sie an, mich mitzunehmen, egal, wohin sie fuhren. Das taten sie. Was mir danach widerfahren ist, ist für Sie, glaube ich, ohne Belang. Ich bin erschöpft.«
»Möchten Sie sich ein bißchen hinlegen?« Montalbano mußte ihn stützen und half ihm beim Ausziehen.
»Bitte verzeihen Sie mir, daß ich die Schlafenden geweckt und Sie damit in die Wirklichkeit zurückgeholt habe«, sagte er.
»Es mußte so kommen.«
»Ihr Freund Burgio, der mir sehr geholfen hat, würde Sie gern sehen.«
»Ich ihn nicht. Und wenn dem nichts entgegensteht, dann würde ich Sie bitten, so zu tun, als sei ich nie gekommen.«
»Natürlich steht dem nichts entgegen.«
»Brauchen Sie noch etwas von mir?«
»Nein. Ich möchte Ihnen nur noch sagen, daß ich Ihnen zutiefst dankbar dafür bin, daß Sie meinem Lockruf gefolgt sind.«
Es gab nichts mehr zu sagen.
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