Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
kennen gelernt.
Sie hatte ihren Bruder, der jetzt in New York lebt, in die Klinik gebracht, er hatte eine ziemlich komplizierte Fraktur am rechten Fuß. Sie hat mir sofort gefallen, sie war sehr schön, aber vor allem war ich von ihrem Charakter fasziniert. Immer war sie bereit, die Dinge von ihrer besten Seite zu sehen. Sie hat beide Eltern verloren, als sie noch keine fünfzehn war, und lebte dann bei einem Onkel, der sie, um auch ja nichts zu verpassen, eines Tages vergewaltigte. Kurz - sie suchte verzweifelt einen Platz, wo sie unterkommen konnte. Jahrelang war sie die Geliebte eines Industriellen, der sie dann mit einer Summe abgefunden hat, von der sie mehr oder weniger leben konnte. Michela hätte jeden Mann haben können, den sie wollte, aber eigentlich empfand sie es als demütigend, ausgehalten zu werden.«
»Hatten Sie sie gebeten, Ihre Geliebte zu werden, und Michela hat abgelehnt?«
Zum ersten Mal zeichnete sich auf Emanuele Licalzis unbewegtem Gesicht eine Art Lächeln ab.
»Sie sind auf dem Holzweg, Commissario. Ach ja, Michela sagte mir, dass sie hier einen flaschengrünen Twingo gekauft hat, um mobil zu sein. Was ist aus ihm geworden?«
»Er hatte einen Unfall.«
»Michela konnte noch nie fahren.«
»In diesem Fall trifft die Signora keine Schuld. Der Wagen wurde angefahren, als er ordnungsgemäß an der Zufahrt zur Villa abgestellt war.«
»Woher wissen Sie das?«
»Wir von der Polizei waren es. Aber wir wussten noch nicht …«
»Was für eine merkwürdige Geschichte.«
»Ich erzähle sie Ihnen ein anderes Mal. Tatsächlich hat dieser Unfall dazu geführt, dass wir die Leiche fanden.«
»Meinen Sie, ich kann den Wagen zurückbekommen?«
»Ich glaube nicht, dass etwas dagegen spricht.«
»Könnte ich ihn jemandem in Vigàta überlassen, der mit Gebrauchtwagen handelt?«
Montalbano antwortete nicht, das Schicksal des flaschengrünen Autos war ihm scheißegal.
»Da links ist die Villa, nicht wahr? Ich glaube, ich erkenne sie vom Foto her.«
»Das ist sie.«
Dottor Licalzi fuhr eine elegante Schleife, hielt an dem Weg, stieg aus und betrachtete das Haus mit der gleichgültigen Neugierde eines zufällig vorbeikommenden Touristen.
»Hübsch. Was machen wir hier?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Montalbano schlecht gelaunt. Dottor Licalzi verstand sich darauf, ihm auf den Wecker zu gehen. Er beschloss, ihm einen gehörigen Schlag zu verpassen.
»Wissen Sie was? Manche Leute glauben, dass Maurizio Di Blasi, der Sohn Ihres Cousins, des Ingegnere, Ihre Frau erst vergewaltigt und dann umgebracht hat.«
»Tatsächlich? Ich kenne ihn nicht, als ich vor zweieinhalb Jahren hier war, studierte er in Palermo. Mir wurde gesagt, er sei ein bedauernswerter Trottel.«
Montalbano war bedient.
»Gehen wir rein?«
»Warten Sie, sonst vergesse ich es noch.«
Er öffnete den Kofferraum, holte einen supereleganten Koffer heraus und entnahm ihm einen großen Umschlag.
»Die Fotos von Michela.«
Montalbano steckte ihn ein. Der Dottore zog gleichzeitig einen kleinen Schlüsselbund aus der Hosentasche.
»Sind die von der Villa?«, fragte Montalbano.
»Ja. Ich wusste, wo Michela sie zu Hause aufbewahrte. Es sind die Zweitschlüssel.«
Jetzt kriegt er gleich einen Tritt, dachte der Commissario.
»Sie haben noch nicht zu Ende erzählt, warum Ihre Ehe sowohl für Sie als auch für die Signora von Vorteil war.«
»Beh, für Michela war unsere Ehe vorteilhaft, weil sie mit einem reichen, wenn auch dreißig Jahre älteren Mann verheiratet war, für mich war sie von Vorteil, weil ich Gerüchte zum Schweigen bringen konnte, die mir zu einem Zeitpunkt, als ich mich gerade auf einen großen Karrieresprung vorbereitete, möglicherweise geschadet hätten.
Man sagte, ich sei homosexuell geworden, weil ich seit etwa zehn Jahren mit keiner Frau mehr gesehen worden war.«
»Und hat es gestimmt, dass Sie nicht mehr mit Frauen zusammen waren?«
»Was sollte ich mit ihnen, Commissario? Mit fünfzig wurde ich impotent. Unheilbar.«
Acht
»Hübsch«, sagte Dottor Licalzi, nachdem er einen Blick in den Salon geworfen hatte.
Fiel ihm denn nichts anderes ein?
»Hier ist die Küche«, sagte der Commissario und fügte hinzu: »Bezugsfertig.«
Plötzlich war er furchtbar wütend auf sich selbst. Warum war ihm dieses »bezugsfertig« entschlüpft? Was sollte das? Er kam sich vor wie ein Immobilienmakler, der einem potenziellen Käufer die Wohnung zeigte.
»Daneben ist das Bad. Schauen Sie sich's an«, sagte er
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