Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
seiner Wohnung als auch auf seinem Handy. Doch niemand antwortet. Ich bin auch zu ihm nach Hause gegangen. Ich habe lange geklingelt, bevor ich mich dann entschloss, die Tür zu öffnen.«
»Haben Sie die Schlüssel zur Wohnung Ihres Bruders?«
»Ja.«
»Und was haben Sie vorgefunden?«
»Alles in perfekter Ordnung. Ich hatte Angst.«
»Leidet Ihr Bruder an irgendeiner Krankheit?«
»Überhaupt nicht.«
»Was macht er beruflich?«
»Er ist Informant.«
Montalbano staunte. War Informant, ein Spitzel, denn ein anerkannter Beruf geworden, mit dreizehntem Monatsgehalt und bezahltem Urlaub, wie zum Beispiel der reuige Kronzeuge mit festen Bezügen? Das würde er anschließend herausfinden. »Fährt er viel herum?«
»Ja, aber er kümmert sich um ein festes Gebiet. Praktisch verlässt er nie die Grenzen der Provinz.«
»Also kurz gesagt, Sie wollen eine Vermisstenanzeige aufgeben?«
»Ich … Ich weiß nicht.«
»Ich muss Sie allerdings darauf aufmerksam machen, dass wir uns nicht sofort mit der Sache beschäftigen können.«
»Warum nicht?«
»Weil Ihr Bruder volljährig ist, unabhängig, gesund an Körper und Geist. Er könnte ja die Entscheidung getroffen haben, aus eigenem Willen für ein paar Tage wegzufahren, verstehen Sie? Und solange wir nicht sicher sind, dass …«
»Verstehe. Was raten Sie mir?«
Und als sie ihm die Frage stellte, sah sie ihn endlich an. Montalbano spürte eine Hitze in seinem Inneren auflodern. Diese Augen waren wie ein blauvioletter tiefer See, in den einzutauchen und zu ertrinken jedem Mann wie etwas unendlich Schönes vorkommen musste. Ein Glück, dass Signorina Michela den Blick fast immer gesenkt hielt. Im Geist umarmte er sie zweimal und kehrte ans Ufer zurück. »Naja, ich würde Ihnen raten, zur Wohnung Ihres Bruders zurückzukehren und noch einmal nachzusehen.«
»Das habe ich gestern auch schon getan. Ich bin zwar nicht hineingegangen, aber ich habe lange geklingelt.«
»Schon, aber es könnte ja auch sein, dass er nicht in der Lage ist zu antworten.«
»Aber wieso?«
»Nun ja … Er könnte im Bad ausgerutscht und nun unfähig sein aufzustehen, er könnte einen Anfall von hohem Fieber haben …«
«Commissario, ich habe nicht nur geklingelt. Ich habe ihn auch gerufen. Wenn er im Bad gestürzt wäre, hätte er geantwortet. Angelos Wohnung ist schließlich nicht so groß.«
»Erlauben Sie mir, dass ich auf meinem Standpunkt beharre.«
»Alleine gehe ich da nicht hin. Könnten Sie nicht mitkommen?«
Wieder blickte sie ihn an. Und diesmal spürte Montalbano, wie er unterging, das Wasser stieg ihm bis zum Hals. Er dachte einen Augenblick nach, dann entschloss er sich. »Hören Sie, machen wir doch Folgendes. Wenn Sie in der Zwischenzeit keine Nachricht von Ihrem Bruder erhalten haben, kommen Sie heute Abend gegen sieben noch einmal vorbei. Ich werde Sie dann begleiten.«
»Danke.«
Sie stand auf und reichte ihm die Hand. Montalbano ergriff sie zwar, hatte aber nicht den Mut, sie zu drücken. Sie war wie ein Stück lebloses Fleisch.
Keine zehn Minuten später kam Fazio zurück. »Ein Siebzehnjähriger. Er ist auf die Terrasse des Wohnhauses gestiegen und hat sich eine Überdosis gesetzt. Wir haben nichts tun können, der Arme war schon tot, als wir ankamen. Er ist der zweite in drei Tagen.« Montalbano sah ihn sprachlos an.
»Der zweite? Gab es denn einen ersten? Und wie kommt es, dass ich nichts darüber weiß?«
»Der Ingegnere Fasulo. Aber bei dem war's Kokain«, sagte Fazio.
»Kokain? Was erzählst du mir denn da? Der Ingegnere ist an einem Infarkt gestorben!«
»Sicher. So steht's auf dem Totenschein, so heißt es in der Familie, so heißt es bei seinen Freunden. Doch die ganze Stadt weiß, dass er an Drogen gestorben ist.«
»Schlecht gestrecktes Zeug?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Dottore.«
»Hör mal, kennst du jemanden, der Angelo Pardo heißt? Er ist zweiundvierzig und arbeitet als Informant.«
Fazio zeigte sich über Angelo Pardos Beruf nicht erstaunt.
Vielleicht hatte er ja auch nicht richtig verstanden.
»Nein. Warum fragen Sie mich das?«
»Weil er seit zwei Tagen verschwunden ist, und seine Schwester macht sich Sorgen.«
»Wollen Sie, dass …«
»Nein, wenn er sich später immer noch nicht gemeldet hat, sehen wir weiter.«
»Dottor Montalbano? Hier ist Lattes.«
»Ja, ich höre.«
»Ihrer Familie geht's gut?«
»Ich glaube, darüber haben wir vor knapp zwei Stunden geredet.«
»Ach ja, richtig. Hören Sie, ich muss Ihnen
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