Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
Junge.«
»Was befürchtete sie denn nur?«
»Nichts, glaube ich. Ich habe mir dafür eine Erklärung zurechtgelegt, die allerdings überhaupt keine wissenschaftliche Grundlage hat, ich verstehe nichts von Psychoanalyse. Meiner Ansicht nach handelte es sich um eine herbeigesehnte, aber letztendlich enttäuschte Mutterschaft, die sich dann voll und ganz auf den Bruder konzentrierte.« Sie kicherte ein bisschen.
»Oft habe ich gedacht, wenn ich Angelo geheiratet hätte, wäre es für mich vor allem schwer gewesen, mich aus dem Würgegriff der Schwägerin zu befreien, und weniger aus dem der Schwiegermutter, die nun gar nicht zählt, die Arme.«
Sie machte eine Pause. Und Montalbano begriff, dass sie die Worte sorgfältig abwog, um das auszudrücken, was sie im Kopf hatte.
»Nach Angelos Tod hatte ich erwartet, dass Michela zusammenbrechen würde. Stattdessen ist das Gegenteil eingetreten.«
»Was heißt das?«
»Sie war zwar verzweifelt, hat geschrien, geweint, das schon, aber gleichzeitig habe ich in ihr ein Gefühl von Befreiung wahrgenommen, auf eine unbewusste Art. Sie hat sich sozusagen einer Last entledigt, ist aufgeheitert, freier, verstehen Sie?«
»Sehr gut.«
Und jetzt hätte er gerne gewusst, warum ihm eine Frage in den Sinn kam.
»Hatte Michela in ihrer Vergangenheit einen Verlobten?«
»Weshalb fragen Sie mich das?«
»Na, ich weiß nicht, einfach so.«
»Sie hat mir erzählt, dass sie sich mit neunzehn in einen Jungen von einundzwanzig verliebt hatte. Offiziell waren sie drei Jahre verlobt.«
»Wissen Sie, warum sie auseinandergegangen sind?«
»Sie sind nicht auseinandergegangen. Er ist verunglückt. Er war ein allzu leidenschaftlicher Motorradfahrer, wenn er auch über außerordentliche Fähigkeiten verfügt haben muss. Die Einzelheiten des Unfalls kenne ich nicht. Jedenfalls hat Michela seit damals keinen Mann mehr an ihrer Seite haben wollen. Und ich glaube, dass sie seitdem auch die Bewachung Angelos stark intensiviert hat, ihn damit manchmal fast erstickt hat.«
»Sie sind eine intelligente Frau, Sie stehen gänzlich außerhalb der Ermittlung und Sie haben alle Zeit gehabt, Ihre damalige Geschichte mit Angelo noch einmal zu überdenken«, sagte Montalbano und blickte ihr in die Augen. »Diese Vorrede beunruhigt mich«, sagte Paola mit ihrem üblichen Kichern. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Auf eine Antwort. Wer war Angelo Pardo?« Die Frage schien sie nicht zu überraschen. »Das habe ich mich auch schon gefragt, Commissario. Aber nicht, als er mich wegen Elena verlassen hat. Denn ich glaubte zu wissen, wer Angelo Pardo war. Ein ehrgeiziger Mann vor allem.«
»Unter diesem Aspekt habe ich ihn nie betrachtet.«
»Weil er nicht so erscheinen wollte. Ich glaube, er hat sehr unter der Tilgung aus dem Ärztekammerverzeichnis gelitten, sie hat eine vielversprechende Karriere abrupt zum Ende gebracht. Aber sehen Sie, auch mit dem Beruf, den er danach ausübte … Zum Beispiel hätte er im Verlauf dieses Jahres die Exklusivrechte für die Vertretung zweier multinationaler Pharmaunternehmen auf der gesamten Insel und nicht mehr allein in der Provinz von Montelusa bekommen.«
»Hat er Ihnen das gesagt?«
»Nein, aber ich habe bei zahlreichen Telefongesprächen mit Zürich und Amsterdam zugehört.«
»Und wann haben Sie angefangen, sich zu fragen, wer Angelo Pardo wirklich ist?«
»Nachdem man ihn ermordet hatte. Danach erscheint einem manches, für das man eine Erklärung parat hatte, plötzlich in einem anderen Licht. Jetzt, nach seinem Tod, erklären sich die Dinge eben nicht mehr so einfach.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel gewisse Schattenbereiche. Er war fähig, für ein paar Tage einfach zu verschwinden, und nach seiner Rückkehr hat er einem nichts erzählt, nicht ein Wort bekam man aus ihm heraus. Er war undurchdringbar. Deshalb bin ich schließlich davon ausgegangen, dass er sich mit einer anderen Frau traf, dass er ein vorübergehendes Abenteuer hatte. Aber nachdem man ihn auf diese Weise umgebracht hat, bin ich mir natürlich nicht mehr so sicher, ob es sich um erotische Begegnungen gehandelt hat.«
»Was denn aber sonst?«
Paola öffnete die Arme in einer hilflosen Bewegung.
Zwölf
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