Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
nach.
Warum hatte Mimì einen so persönlichen, so vertraulichen Brief von Galluzzo abtippen lassen? Das war eine der ersten Fragen, die er sich gestellt hatte, als Galluzzo ihm den Brief gebracht hatte. Mimì hätte ihn doch selbst abtippen, ihn in den Umschlag stecken und ihn ihm dann aushändigen lassen können, wenn er schon die persönliche Begegnung scheute.
War er sich denn nicht darüber im Klaren, dass er damit jemanden in die heikle Angelegenheit zwischen ihnen beiden hineinzog, der nichts damit zu tun hatte? Und dann suchte er auch noch ausgerechnet Galluzzo dafür aus, der nicht nur ein flottes Mundwerk hatte, sondern dazu noch einen Schwager, der Journalist war!
Augenblick mal. Vielleicht gab es ja eine Erklärung dafür. Was, wenn Mimì das ganz bewusst gemacht hätte? Ruhig, ganz ruhig, Montalbà, gleich hast du’s.
Mimì hat so gehandelt, weil er will, dass andere von dieser Sache erfahren, weil er will, dass sie gewissermaßen öffentliche Aufmerksamkeit bekommt.
Und warum tut er das? Na, ganz einfach: Weil er ihn, Montalbano, mit dem Rücken an die Wand drängen will. Indem er das in dieser Form macht, kann die Angelegenheit nicht mehr in aller Stille gelöst werden, fernab aller Lauscher, die eigentlich gar nichts mit der Sache zu tun haben. Nein, auf diese Weise zwingt Mimì ihn, ihm eine offizielle Antwort zu geben, wie immer die auch ausfallen mag. Ein geschickter Zug, ganz ohne Zweifel.
Er nahm den Briefumschlag, zog den Brief heraus und las ihn noch einmal. Da waren mindestens zwei Dinge, die ihm in dem Brief aufgefallen waren.
Das Erste war der Ton.
Als Mimì ihn persönlich gefragt hatte, wer seiner Vorstellung nach die Ermittlung durchführen sollte, wobei er jedoch jede Zusammenarbeit ausschloss, war sein Ton aggressiv, hart, voller Widerwillen und hochmütig.
In dem Brief dagegen hatte er einen anderen Ton angeschlagen. Hier führte er die Gründe für sein Anliegen an, er erklärte sie, sagte, dass er sich einen Bereich wünsche, in dem er eigenverantwortlich arbeiten könne. Er ließ durchblicken, dass ihn die Luft im Kommissariat inzwischen ersticke. Und das war durchaus verständlich. Mimì hatte immerhin viele Jahre als sein Untergebener gearbeitet, und er wiederum hatte ihm nur selten freie Hand gelassen. Es war nur fair, das zuzugeben.
In dem Brief sagte er auch, dass er, Montalbano, sich zugleich ein Bild von seinen Fähigkeiten machen könne, wenn er ihm den Fall übertrage.
Letzten Endes bat er ihn um Hilfe.
Ja, genau dieses Wort hatte er verwendet. Hilfe. Und Mimì war nicht der Mann, der dieses Wort leichtfertig gebrauchte.
Denk noch einmal nach, Montalbà, versuch, die Sache unbefangen zu betrachten, ohne Wut und ohne Groll.
Konnte es nicht sein, dass Mimìs aggressives, streitsüchtiges Verhalten seine ganz eigene Art war, die Aufmerksamkeit anderer auf eine Situation zu lenken, aus der er allein nicht mehr herauskam?
Na gut, halten wir das mal so fest. Aber wie dem auch sei, was hatte das mit der Ermittlung zu tun? Warum war er so versessen darauf? Warum war sie plötzlich von existenzieller Bedeutung für ihn?
Eine mögliche Antwort war, dass, wenn Mimì erst einmal mit einer schwierigen, komplexen Ermittlung beschäftigt wäre, er unweigerlich weniger Zeit für seine Geliebte hätte. Auf diese Weise würde sich die Beziehung zu dieser Frau lockern, und die ersten Schritte zum endgültigen Bruch wären getan.
Denn Ingrid hatte wahrscheinlich ins Schwarze getroffen, als sie sagte, Mimì wäre wohl auf dem besten Weg, sich ernsthaft zu verlieben, und dass er sich gleichzeitig dagegen sträuben würde, weil Beba und der Kleine dazwischenstünden.
Langsam las er den Brief nun ein drittes Mal.
Als er zum letzten Satz kam: Wie deine Entscheidung auch ausfällt, meine tiefe Zuneigung und meine hohe Meinung von dir werden davon niemals in irgendeiner Weise beeinflusst werden, bekam er mit einem Mal wieder glänzende Augen, und seine Brust schnürte sich zu. Zuneigung hatte Mimì an die erste Stelle gesetzt, die hohe Meinung kam danach.
Er nahm den Kopf zwischen die Hände und gab sich ungehemmt der Melancholie, der Müdigkeit und auch der Wut darüber hin, dass er nicht wie noch vor ein paar Jahren den Ernst von Mimìs Lage erkannt hatte. Mimí, der ihm so rückhaltlos ergebene Freund, der unbedingt gewollt hatte, dass sein Erstgeborener Montalbanos Namen trug.
Genau in diesem Moment spürte er Ingrids Anwesenheit auf der Veranda.
Er hatte nicht gemerkt,
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