Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
ausmacht?«
Und sie fing an zu lachen.
Montalbano fuhr die gesamte Strecke mit weit aufgerissenen Augen und angespannten Nerven, und weil er Angst vor einer möglichen Begegnung mit einer Patrouille hatte, fuhr er nie über fünfzig. Er sprach kein einziges Wort, um sich nicht abzulenken.
Als er auf dem Parkplatz der Café-Bar von Marinella ankam, merkte er, dass Ingrid eingeschlafen war. Er schüttelte sie sacht.
»Hmm?«, fragte Ingrid, ohne die Augen zu öffnen.
»Wir sind da. Meinst du, du kannst fahren?«
Ingrid öffnete nur ein Auge und schaute benommen um sich.
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe dich gefragt, ob du glaubst, du könntest fahren.«
»Nein.«
»Dann bringe ich dich nach Montelusa.«
»Nein. Ich komme mit zu dir, nehme eine Dusche, und dann begleitest du mich wieder hierher, um das Auto zu holen.«
Während Montalbano die Haustür öffnete, wankte Ingrid dermaßen, dass sie sich an der Wand abstützen musste.
»Ich lege mich mal eben fünf Minuten hin«, sagte sie und ging auf das Schlafzimmer zu.
Montalbano folgte ihr nicht. Er öffnete die Glastür und setzte sich auf die Bank auf der Veranda.
Nicht ein Lufthauch ging, das Meer regte sich in träger Rollbrandung, das Wasser schaffte es kaum, sich zu bewegen. In diesem Augenblick schrillte das Telefon. Montalbano eilte hinein, um die Schlafzimmertür zu schließen, und nahm den Hörer ab. Es war Livia.
»Sag mal, was hast du gerade gemacht?«
Ihr Ton hätte dem Großinquisitor Torquemada alle Ehre gemacht. Frauen! Noch nie hatte Livia ein Telefongespräch mit einer derartigen Frage begonnen. Und ausgerechnet heute Abend, wo im Bett ihres Lebensgefährten eine andere Frau schlief, hatte sie diesen Verhörton an sich. Was war das? Instinktgesteuerter sechster Sinn? Oder hatte sie etwa Röntgenaugen und konnte alles aus der Ferne beobachten? Er war völlig irritiert, sein Kopf wie leergefegt, und statt ihr die Wahrheit zu sagen, nämlich dass er aufs Meer geschaut hatte, antwortete er aus unerfindlichen Gründen mit einer sinnlosen und blöden Lüge.
»Ich hab mir einen Film im Fernsehen angeschaut.«
»In welchem Programm?«
Sie musste sofort gemerkt haben, dass er ihr etwas vorflunkerte. Sie waren nun schon so lange zusammen, dass Livia der leisesten Veränderung seiner Stimme anmerkte, ob das, was er ihr erzählte, stimmte oder nicht. Und wie kam er jetzt aus dieser Nummer heraus? Die einzige Lösung war, einfach weiterzumachen.
»Im dritten. Aber was …«
»Das habe ich auch gerade an. Wie heißt der Film?«
»Weiß ich nicht, er lief schon, als ich eingeschaltet habe. Aber was soll diese ganze Fragerei? Was ist los mit dir?«
»Warum redest du so leise?«
Das stimmte. Verflixtnochmal. Er tat das instinktiv, um Ingrid nicht zu wecken. Er räusperte sich.
»Ach ja? Hab ich gar nicht gemerkt.«
»Wer ist denn bei dir?«
»Niemand! Wer soll schon hier sein?«
»Lassen wir das. Beba hat mich angerufen. Mimì hat ihr gesagt, dass er auch morgen Abend eine Observation durchführen muss.«
Gut, das bedeutete, dass seine Berechnungen richtig waren.
»Hast du Beba gesagt, dass sie noch ein bisschen Geduld haben soll?«
»Ja. Aber du sagst mir nicht die Wahrheit.«
»Was meinst du mit …«
»Du bist nicht allein.«
Alle Achtung, was für ein Näschen! Hatte sie etwa Antennen? Redete sie mit den Raben?
»Jetzt hör aber auf!«
»Schwör’s mir!«
»Wenn du wirklich drauf bestehst, ich schwöre es dir.«
»Na, dann. Buonanotte.«
Das war’s. Livia war bedient. Nach allem Getue und Gerede hatte er, der Unschuldige, ihr eine Lüge erzählen und darauf schwören müssen. Eine Lüge, obwohl er doch ganz unschuldig war. Unschuldig? Von wegen. So unschuldig war er nun auch wieder nicht. Livia hatte doch voll ins Schwarze getroffen. Es stimmte ja, dass noch jemand bei ihm war, eine Frau, aber sollte er ihr erklären, dass diese Frau … Er stellte sich den Schluss ihres Gesprächs vor.
»Aber wenn sie doch in unserem Bett schläft.«
Zweimal verflixt und zugenäht! Sie hatte ja recht: Dieses Bett war nicht nur seines, sondern ihr gemeinsames Bett.
»Schon, aber versteh doch, sie geht ja danach wieder …«
» Danach? Nach was? Heh?«
Besser, man ließ es dabei bewenden.
Er setzte sich wieder auf die Veranda. Er zog Mimìs Brief aus der Tasche, den er mitgenommen hatte, um ihn Ingrid zu zeigen, aber dann überlegte er es sich doch anders. Er las ihn nicht, sondern betrachtete nur den Umschlag und dachte
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