Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
es hatte ihn mit Genugtuung erfüllt, Montalbano mitteilen zu können, dass besagte Brücke ihn eben nicht über das große Scheißmeer dieser Ermittlung führen würde.
Vielleicht war es tatsächlich besser, Mimì nicht damit zu betrauen.
Es war zwar Zeit, essen zu gehen, aber er hatte nicht die Spur von Appetit.
Sein Kopf war ein bisschen verwirrt, als wären ihm ein paar Tropfen Kleber ins Gehirn gefallen. Er berührte seine Stirn: Sie war heiß. Offenbar die Auswirkung seiner Aktion vom Vormittag.
Er beschloss, sofort nach Marinella zu fahren, und sagte Catarella Bescheid, dass er am Nachmittag nicht mehr ins Büro zurückkehren würde.
Zu Hause angekommen, machte er sich gleich auf die Suche nach dem Thermometer. Im Badezimmerschränkchen, wo er es normalerweise aufbewahrte, war es nicht. Es war auch nicht in der Schublade des Nachttischs. Nach zwanzig Minuten fand er es schließlich zwischen den Seiten eines Buches. Siebenunddreißig fünf. Aus dem Badezimmerschränkchen nahm er ein Aspirin, ging in die Küche und öffnete den Wasserhahn, aus dem allerdings kein einziger Tropfen kam. Er fluchte. Aber warum fluchte er eigentlich, wenn es doch seine Schuld war? Im Kühlschrank war eine Flasche Mineralwasser, und er füllte ein Glas. Doch dann fiel ihm ein, dass man Aspirin nicht auf leeren Magen einnehmen sollte. Er musste also etwas essen. Wieder öffnete er den Kühlschrank. Und weil es kein Wasser gab, hatte Adelina sich etwas Geniales einfallen lassen. Caponatina, Caciocavallo aus Ragusa, Sardinen mit Cipollata.
Ohne dass er hätte sagen können, wie und warum, war sein Appetit schlagartig zurückgekehrt. Er brachte alles auf die Veranda, zusammen mit einem eisgekühlten Weißwein. Dann nahm er sich eine Stunde, um schwelgend alles zu verputzen. Und so konnte er hinterher das Aspirin einnehmen, ohne Angst, damit Schaden anzurichten.
Montalbano wachte auf, als es fast fünf Uhr am Nachmittag war. Er kontrollierte erneut die Temperatur. Sechsunddreißig acht, das Aspirin hatte sie also gesenkt. Doch womöglich war es sinnvoller, sich noch ein wenig auszuruhen und dabei vielleicht ein Buch zu lesen.
Er stand auf, ging an das Bücherregal im anderen Zimmer und begann, die Titel durchzusehen. Da stieß er auf einen Roman von Andrea Camilleri, schon ein paar Jahre alt, den er noch nicht gelesen hatte. Den nahm er mit ins Bett und begann zu lesen.
Das Buch basierte auf einer Stelle aus einem Roman von Leonardo Sciascia und erzählte die Geschichte eines gewissen Patò, eines anständigen, unbescholtenen Bankdirektors, der mit Leidenschaft alljährlich die Rolle des Verräters Judas in der Aufführung des »Mortorio« spielte, eines volkstümlichen Mysterienspiels der Passion Jesu.
Bekanntermaßen warf Judas aus Reue darüber, Jesus verraten zu haben, die dreißig Silberlinge in den Tempel, lief hinaus und erhängte sich. Und das »Mortorio« folgte Vers für Vers dem Evangelium. Doch gab es eine Variante in der szenischen Aufführung: Während Patò-Judas sich den Strick um den Hals legte, öffnete sich tatsächlich eine Falltür unter seinen Füßen, die den Rachen der Hölle symbolisierte. Durch diese stürzte der Verräter hinab und landete unterhalb der Bühne.
Camilleri schrieb in seinem Roman, dass sich auch dieses Mal alles so abgespielt hatte, wie es im Textbuch stand, nur dass Patò nach Abschluss der Aufführung nicht mehr aufgetaucht war. Alle hatten sich auf die Suche nach ihm gemacht, doch ohne Ergebnis. Er blieb für immer verschwunden, nachdem der Rachen der Hölle ihn verschlungen hatte.
Im Buch ging es weiter mit allen möglichen, noch so absurden Vermutungen von Mitbürgern und Wissenschaftlern und mit den schwierigen Ermittlungen eines Beauftragten der Polizei und eines Maresciallo der Carabinieri, um diesem Verschwinden auf die Spur zu kommen.
Nachdem er drei Stunden gelesen hatte, trübte sich allmählich sein Blick, und die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu tanzen.
War es nicht vielleicht an der Zeit, zu einem Augenarzt zu gehen? Nein, antwortete er sich selbst, ist es nicht. Er wusste sehr wohl, dass er nicht mehr so gut sah wie früher, aber selbst als Blinder würde er sich noch gegen eine Brille wehren.
Er legte das Buch auf den Nachttisch und stand auf, um sich in den Sessel vor dem Fernseher zu setzen. Er schaltete ein und sah sich Pippo Ragoneses Hühnerarschgesicht in Großaufnahme gegenüber.
»… das Eingeständnis unserer Fehler, wenn sie uns auch nur selten
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