Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
er ihn an derselben Stelle wieder abgesetzt, wo er ihn mitgenommen hatte.«
»Das ist das typische Vorgehen von Balduccio. Der Alte hat die Operation persönlich durchführen wollen. Und danach?«
»Pecorini, der Balduccios Botschaft begriffen hatte, zog um. Und Dolores erhielt die Erlaubnis zurückzukehren. Doch die Freunde von Giovanni Alfano waren von Leuten der Familie Sinagra angesprochen worden, und allen wurde das Gleiche eingebläut: Niemand dürfe bei Giovannis Rückkehr mit ihm über diese Affäre mit dem Metzger reden, weil Don Balduccio nicht wolle, dass er sich grämt.«
»Aber neulich hast du mir erzählt, dass Pecorini jetzt gelegentlich wieder in die Stadt zurückkommen darf.«
»Ja, er kommt für zwei Tage in der Woche, samstags und sonntags. Kurz nachdem er nach Catania gezogen war, hat die Metzgerei hier wieder aufgemacht, und Pecorini hat die Geschäftsführung seinem Bruder übertragen. Doch es sieht so aus, als wäre Dolores völlig aus seinen Gedanken verschwunden.«
»In Ordnung, ich danke dir.«
»Dottore, erklären Sie mir, woher Sie wussten, dass der Metzger eine Affäre mit Signora Dolores hatte?«
»Aber ich hab es doch gar nicht gewusst!«
»Ach, nicht? Wieso haben Sie dann gleich nach Informationen über Pecorini gefragt? Noch bevor Signora Dolores ins Kommissariat kam?«
Er konnte ihm den wahren Grund nicht nennen, dass nämlich der Metzger der Eigentümer der kleinen Villa war, in der Mimì mit Dolores Gymnastik trieb.
»Vielleicht sage ich es dir eines Tages oder du kommst von selbst drauf. Weißt du, ob Dottor Augello im Büro ist?«
»Ja. Soll ich ihn rufen?«
»Ja. Und komm dann zusammen mit ihm zu mir.«
Fazio ging hinaus, Montalbano lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete zwei- oder dreimal tief durch, als würde er sich auf einen Tauchgang vorbereiten. Die Szene, die er im Kopf hatte, musste perfekt gelingen, ohne ein Wort zu viel oder zu wenig. Er hörte sie kommen. Er machte die Augen nicht auf. Er schien in Meditation versunken.
»Mimì, komm herein und setz dich. Fazio, geh und sag Catarella, dass ich unter keinen Umständen gestört werden will, und dann komm wieder her.«
Er hielt die Augen weiter geschlossen, und Mimì sagte kein Wort. Er hörte Fazio zurückkommen.
»Komm herein, schließ die Tür ab und setz dich dazu.«
Endlich machte er die Augen auf. Seit ein paar Tagen hatte er Mimì nicht gesehen. Er war gelb im Gesicht, seine Augen lagen tief in den Höhlen, er war unrasiert, die Kleidung verknittert. Er saß auf der vorderen Stuhlkante, hatte die Ferse des linken Fußes gehoben und wippte mit ihm nervös auf und ab. Er wirkte wie eine zum Zerreißen gespannte Saite. Fazio dagegen machte ein besorgtes Gesicht.
»In letzter Zeit«, fing Montalbano an, »herrscht in unserem Kommissariat dicke Luft.«
»Ich will dir erklären, dass …«, unterbrach ihn Augello gleich.
»Mimì, du redest, wenn ich es dir sage. Höchstwahrscheinlich liegt die Verantwortung für das Geschehene zum großen Teil bei mir. Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass ich den Schwung und den Elan verloren habe, der euch dazu gebracht hat, mir jederzeit und unbedingt zu folgen. Damit waren wir nicht nur eine Mannschaft, wir waren ein einziger Körper. Dann hat der Kopf dieses Körpers nicht mehr so funktioniert wie früher, und der Körper hat das ausbaden müssen. Wie sagt man noch bei uns? ’U pisci feti dalla testa , der Fisch fängt beim Kopf an zu stinken.«
»Schau, Salvo …«
»Ich habe dir noch nicht die Erlaubnis gegeben zu reden, Mimì. Und daher ist es nur natürlich, dass ein Teil dieses Körpers sich geweigert hat, mit dem Rest in Verfall überzugehen. Ich beziehe mich auf dich, Mimì. Doch bevor ich dir sage, was ich meine, dir sagen zu müssen, bestreite ich deine Behauptung, ich hätte dir nie eine gewisse Unabhängigkeit und Verantwortung zugestehen wollen. Nein, sag nichts. Vielmehr und vor allem in der letzten Zeit, und Fazio ist mein Zeuge, habe ich versucht, alle Ermittlungen auf dich zu übertragen, denn ich fühlte und fühle, dass ich nicht mehr der Alte bin. Wenn es nicht jedes Mal geschehen ist, wenn ich es für gut erachtet hätte, ist es wegen deiner familiären Verpflichtungen gewesen, Mimì. Ich habe mir die Ermittlungen aufgebürdet, damit du deiner Familie mehr Zeit widmen konntest. Jetzt bittest du mich in einem Brief, dass ich dir die Gesamtleitung im Fall des Toten vom Critaru anvertraue. Willst du dich auf die Nachfolge
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