Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
gut.«
»Warum hast du eigentlich den Telefonstecker herausgezogen?«
»Weil ich nicht durch irgendeinen Anruf aus Vigàta gestört werden will.«
Livia sah ihn völlig verblüfft an.
»Früher hast du Höllenqualen gelitten, wenn du nicht irgendwelche Nachrichten von Fazio oder Mimì bekamst. Weißt du, dass du dich verändert hast?«
»Ja«, räumte er ein.
Sie gingen in der Trattoria essen, die der Commissario als boccadassische Alternative zu der vigatesischen von Enzo ausgewählt hatte.
Bevor ihnen das Essen serviert wurde, brachte Livia die Sache mit Mimì zur Sprache. Sie war besorgt.
»Wann hat Beba dich denn zum letzten Mal angerufen?«
»Vor drei Tagen.«
»Du wirst sehen, beim nächsten Telefongespräch wird sie dir sagen, dass die Dinge mit Mimì besser laufen.«
»Sind diese Beobachtungsschichten jetzt vorbei?«
»Noch nicht ganz, leider. Aber da ich weiß, dass der Polizeipräsident ihn für sein Verhalten belobigen will, wirst du sehen, dass sich seine Laune bald bessern wird.«
Kann man im Leben eigentlich nie ohne irgendwelche Lügen auskommen?
Abends um neun kam er in Vigàta an, ging zum Essen zu Enzo, und um halb elf war er in Marinella. Er zog sich aus, setzte sich in den Sessel und schaltete das Fernsehgerät ein. »Retelibera« brachte die x-te Reportage über die illegale Landung afrikanischer Flüchtlinge, »Televigàta« zum tausendsten Mal einen Runden Tisch über den Bau der Brücke von Messina. Bis zu den Nachrichten dauerte es noch knapp eine halbe Stunde, und so ging er aus dem Haus und machte einen Spaziergang am Meer.
Auf dem Rückweg meinte er das Telefon klingeln zu hören. Er hatte keine Eile, den Anruf entgegenzunehmen. Livia konnte es nicht sein, denn sie hatte er aus der Trattoria angerufen. Bestimmt war es Fazio. Als er im Haus war, schaltete er wieder das Fernsehgerät ein und landete auf »Televigàta«. Er war sich ziemlich sicher, dass Mimì während seiner Abwesenheit irgendetwas Neues unternommen hatte, und Fazio hatte ihn nicht rechtzeitig informieren können, weil er ihn in Boccadasse nicht erreicht hatte. In der Tat wurde zuerst über die Nachricht gesprochen, die er erwartet hatte.
»Neue aufsehenerregende Entwicklungen werden im Fall des ermordeten und zerstückelten Mannes erwartet, der auf dem Gelände des Critaru aufgefunden wurde«, begann der Journalist, der die Nachrichten verlas.
Danach gab er einen Überblick über die anderen Ereignisse, die er nach ihrer Wichtigkeit geordnet hatte (tödlicher Autounfall auf der Autobahn Montelusa–Palermo; Schafdiebstahl in Fela; Raubüberfall in einem Supermarkt in Fiacca; der Sturz eines dreijährigen Jungen von einem Balkon im vierten Stockwerk in Montelusa, ohne dabei verletzt worden zu sein – der Mutter zufolge wegen des wundertätigen Eingreifens von Padre Pio; die Verhaftung zweier Regionalabgeordneter wegen Verbindungen zur Mafia), und dann kam er wieder auf die erste zu sprechen, die mit Aufnahmen der Gegend des Critaru unterlegt war, dann sah man Signor Pasquale Ajena, der auf die Stelle deutete, wo er den Sack mit dem Toten gefunden hatte, Signora Dolores, wunderschön und in Tränen aufgelöst, die vom Ermittlungsrichter Tommaseo gestützt wurde, der wiederum die Freude nicht verbergen konnte, dieses anmutige Gottesgeschenk am Arm führen zu dürfen, Mimì in seiner Glorie und seinem Triumph, der etwas Winziges vorzeigte, das Montalbano erst im Nachhinein als die von Alfano verschluckte Zahnbrücke erkannte, und Fazio, der einen gewaltigen Satz machte, um aus dem Bild zu verschwinden.
Der Kern der von dem Journalisten vorgetragenen Nachrichten reduzierte sich auf die Tatsache, dass Signora Dolores nicht in der Lage war, die Leiche zu identifizieren, »doch das Herz sagte ihr, dass diese armseligen Überreste ganz zweifellos die ihres Gatten waren« und dass eine DNA-Untersuchung im Bereich des Möglichen lag, weil die Spurensicherung von Reggio Calabria im Waschbecken der Wohnung von Gioia Tauro Blutspuren gefunden habe. In der Tat erinnerte sich Signora Dolores, dass ihr Ehemann sich am Morgen der vermeintlichen Anheuerung beim Rasieren geschnitten habe. Das überraschte Montalbano, denn im Badezimmer in der Via Gerace hatte er kein Blut gesehen, weder auf der Fotografie noch vor Ort, aber vielleicht hatte ja auch die Spurensicherung dafür gesorgt, dass alles wieder sauber war. Am Ende der Nachrichtensendung ging das Wort an Pippo Ragonese, den Hühnerarschmaul-Kommentator und
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