Commissario Montalbano 14 - Die Tage des Zweifels
an.
»Was hast du?«
»Wie kann sich denn eine Wanne bei der Hafenmeisterei melden?«
Montalbano verdrehte die Augen zur Decke.
»Schon gut, ich mach es selber.«
Zwei
Montalbanos Büro war nicht mehr zu gebrauchen, von der Decke tropfte es wie aus Gießkannen. Doch da Mimì Augello am Vormittag nicht im Kommissariat war, konnte Montalbano in sein Zimmer ausweichen.
Als er gegen ein Uhr vom Schreibtisch aufstand – es war Zeit zum Mittagessen –, klingelte das Telefon.
»Dottori, die Capitaneria vom Hafen unten ist am Apparat. Aber es ist so, dass da kein Kapitän spricht, sondern ein Leutnant mit dem Namen … Himmel, Herrgott, Sakrament! Jetzt hab ich’s vergessen!«
»Catarè, nicht jeder, der in der Capitaneria arbeitet, muss ein Kapitän sein.«
»Ach nein? Und warum heißt die Hafenmeisterei dann Capitaneria?«
»Das erklär ich dir später. Stell den Anruf durch.«
»Buongiorno, Commissario. Ich bin Leutnant Garrufo.«
»Buongiorno. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben soeben eine Nachricht von der Vanna erhalten. Die Yacht befindet sich praktisch direkt vor der Hafeneinfahrt. Aber sie schätzen, dass sie bei dem Wetter erst gegen siebzehn Uhr anlegen können. Sie müssen zunächst wieder abdrehen und einen anderen Kurs einschlagen, um …«
»Danke.«
»Und noch etwas haben sie durchgegeben.«
»Ja?«
»Die Funkverbindung war extrem schlecht und es war nicht genau zu verstehen, aber offenbar haben sie einen Toten an Bord.«
»Ein Crewmitglied?«
»Nein, nein. Sie hatten ihn gerade erst geborgen, als sie anriefen. Er lag in einem Schlauchboot, das wie durch ein Wunder nicht gesunken ist.«
»Bestimmt ein Schiffbrüchiger.«
»Soweit wir es verstanden haben, eher nicht … Aber wir warten wohl besser, bis sie angelegt haben, meinen Sie nicht auch?«
Aber gewiss doch.
Höchstwahrscheinlich – und dafür legte er seine Hand ins Feuer – handelte es sich allerdings um einen jener armen Schlucker, die nach wochenlangem Ringen mit dem Tod verhungern und verdursten, in der vergeblichen Hoffnung, die Rauchwolke eines Schiffs oder die Silhouette eines Fischkutters am Horizont zu entdecken.
Er durfte gar nicht darüber nachdenken, denn die Fischer erzählten grausige Geschichten. In den Netzen, die sie aus dem Wasser zogen, hingen oft Leichen oder Leichenteile, die sie wieder ins Meer warfen: die Überreste Hunderter und Aberhunderter Männer, Frauen und Kinder. Sie waren voll Zuversicht aufgebrochen, nach einer langen und lebensgefährlichen Reise durch Wüsten und andere trostlose Gegenden endlich ein Land zu erreichen, in dem sie sich ihr Brot verdienen konnten.
Dafür hatten sie alles verkauft. Sie hatten Hab und Gut, Leib und Leben geopfert, um die Schlepper bezahlen zu können. Doch die Menschenhändler zögerten nicht, ihre Opfer sterben zu lassen und über Bord zu werfen, sobald die Situation brenzlig wurde.
Und diejenigen, die das alles überstanden und endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten – was für ein Empfang wurde ihnen in unserem Land bereitet!
Sie kamen in sogenannte Aufnahmezentren, die aber oft nichts anderes waren als Konzentrationslager.
Aber einigen unserer ehrenwerten Abgeordneten genügte das immer noch nicht. Sie wollten den Tod dieser Menschen und forderten die Küstenwache auf, die Boote zu beschießen, weil die Flüchtlinge samt und sonders Kriminelle seien, arbeitsscheue Elemente, die ansteckende Krankheiten einschleppten.
Genauso muss es unseren Landsleuten ergangen sein, die nach Amerika ausgewandert sind.
Aber daran will sich heute keiner mehr erinnern.
Wenn Montalbano so darüber nachdachte, hätten der heilige Josef und die Jungfrau Maria heute, unter dem Bossi-Fini-Gesetz und ähnlichem Schwachsinn zur Beschränkung der Einwanderung, wohl niemals den Stall mit der Krippe erreicht.
Er ging zu der jungen Frau, um ihr Bescheid zu sagen.
»Die Hafenmeisterei hat gerade angerufen. Die Yacht wird gegen siebzehn Uhr einlaufen.«
»Da kann man nichts machen. Darf ich noch solange hierbleiben?«
Sie unterstrich die Frage mit einer hoffnungsvollen Geste, als wollte sie um ein Almosen bitten. Man kann doch einen nassen Pudel nicht aus seinem Unterschlupf vertreiben. »Selbstverständlich können Sie bleiben.«
Ihr dankbares Lächeln ging ihm so zu Herzen, dass er ihr, ohne nachzudenken, anbot:
»Wollen Sie mit mir zu Mittag essen?«
Vanna war sofort einverstanden. Gallo fuhr sie zum Restaurant, denn es regnete immer noch,
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