Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
hatte, hielt inne und stampfte zornig mit dem Fuß auf. Verdammt, sie war im Urlaub, sie hatte keine To-do-Liste abzuarbeiten und Zeitpläne einzuhalten.
Zeitpläne, Termine. Die Krimscheid fiel ihr ein. Wenigstens blieb ihr künftig das Getue ihrer Sekretärin erspart. Lissie war schleierhaft, wie die Frau es immer wieder fertiggebracht hatte, sich mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen lautlos durch die Verbindungstür und an sie ranzuschleichen. Dann hatte die Krimscheid ein Blöckchen gezückt und sie genüsslich über den neuesten Klatsch und die aktuellen Streitereien zwischen ihren Mitarbeitern informiert.
Lissie hatte diese Angewohnheit abscheulich gefunden und die Krimscheid jedes Mal aufgefordert, damit aufzuhören. Sinnlos. Ihr war die Frau, die sie von ihrem Vorgänger übernommen hatte, sowieso auf Anhieb unsympathisch gewesen. Lissie hatte gerade beschlossen, sie auszuwechseln, da wurde sie selbst vor die Tür gesetzt. Natürlich hatte sich die Krimscheid ein schmallippiges Lächeln an Lissies letztem Morgen nicht verkneifen können. Das hatte Lissies Demütigung natürlich noch die Krone aufgesetzt.
Als sie dann auch noch feststellte, dass der Rest der Mitarbeiter sich verkrümelt hatte, um der peinlichen Verabschiedung zu entgehen, verließ Lissie mit hoch erhobenem Kopf und festen Schritten ihre Abteilung. Ihre Contenance reichte gerade bis zur Tiefgarage. Gott sei Dank war es mitten am Vormittag, und kein Mensch in Sicht.
Woher kamen eigentlich diese lästigen Emotionen bei Frauen? Warum mussten die für Scham, Selbstzweifel und übersteigertes Pflichtgefühl verantwortlichen chemischen Cocktails immer wieder hochkochen? Jetzt saß sie da und genierte sich wegen der Parkplatz-Show, die sie vor der Pensionsinhaberin abgezogen hatte. Sie hatte ein kleines Erfolgserlebnis gebraucht, na und? Außerdem hatte die Frau sie so abschätzig angestarrt. Sah man ihr vielleicht an der Nasenspitze an, dass sie geschasst worden war?
Oder hat mich die Frau etwa wiedererkannt?, fuhr es Lissie durch den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Es war ja dreißig Jahre her, sie war damals siebzehn gewesen. Die Hochleitnerin selbst hatte sich praktisch überhaupt nicht verändert. Die gleiche Topffrisur wie damals. Nur dass die Haare jetzt weiß statt graubraun waren. Und diese unförmige Kittelschürze. Als ob die Frau immer noch in denselben Klamotten steckte.
Lissie riss das Fenster auf und schaute vom dritten Stock auf den Parkplatz hinunter. Drei Stockwerke! Die Pension war viel zu groß für die paar Zimmer. Sie beugte sich weit hinaus. Links und rechts Türmchen und Zinnen, ein Hexenhaus mit bizarren Proportionen.
Schwerer als beabsichtigt ließ sich Lissie auf das Bett fallen. Überraschenderweise knarzte es nicht. Die Federung fühlte sich gut an. Waren die Matratzen etwa neu? Vermutlich die einzige Annehmlichkeit in dem alten Kasten hier. Das Zimmer verströmte einen leicht modrigen Geruch, früher war ihr das gar nicht aufgefallen.
Gott, was für eine Sentimentalität von ihr, dieselbe billige Unterkunft auszuwählen, in der sie vor Jahrzehnten mit ihrem Vater gewohnt hatte. Warum hatte sie eigentlich kein Zimmer in einem der Wellness-Hotels gebucht, unten an der Passer? Vom Nikolausstift in die Innenstadt würde sie ordentlich marschieren müssen. Der Ersatz für den nicht existierenden Fitnessraum, dachte Lissie bissig.
Ich passe doch gar nicht mehr hierher, dachte Lissie. Alexander hatte nichts gesagt, als er das Fax mit der Buchungsbestätigung gesehen hatte. Seine verständnislose Miene war Kommentar genug gewesen. Er liebte solche Unterkünfte. Kopfschüttelnd erinnerte sich Lissie, dass sie früher oft in solchen Pensionen übernachtet hatten, im Spessart, manchmal auch im Bayerischen Wald oder im Fichtelgebirge. Irgendwann war halt Schluss damit gewesen, weil Lissie keine Lust mehr auf wacklige Sperrholzbetten und klebrige Duschvorhänge hatte.
Lissie zog die Schuhe aus und schwang auch die Beine aufs Bett. Wie immer, wenn es in ihrem Leben Schwierigkeiten gab, poppten die Erinnerungen an ihren Vater wieder hoch. Auch jetzt spulten ihre Gedanken von selbst im Schnelldurchlauf zurück, zu den letzten, viel zu kurzen zwei Wochen in Meran, als noch alles in Ordnung gewesen war. Damals war ihr Vater der Nabel ihrer Welt gewesen. Sie hatte zwar nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter gelebt, aber das hatte daran nicht das Mindeste geändert. Natürlich wäre ihr als Teenager nie über die
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