Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
nicht. Aber
Gina wollte nach dem Carnevale aussteigen.»
Tron war sich nicht
sicher, ob er Signorina Quirini richtig verstanden hatte.
«Sie meinen ...»
Sie nickte. «Sie
hatte jemanden, der sie heiraten wollte.» Wieder huschte ein
Lächeln über ihr Gesicht. «Genauer gesagt, hatte
sie zwei Männer, die sie heiraten
wollten.»
Gab es das?
Männer, die eine mammola, eine Professionelle,
heirateten? Tron hatte Schwierigkeiten mit dieser Vorstellung.
Sicher, im Venedig der Renaissance, als viele der Kurtisanen
als honorate galten, waren solche
Heiraten vorgekommen. Aber das war länger als dreihundert
Jahre her.
«Wussten diese
Männer, welcher Tätigkeit Signorina Calatafimi
nachging?», fragte Tron.
Signorina Querini
nickte. «Gina hat sie in der Locanda kennengelernt. Wir
bekommen öfter solche Angebote.» Ihr Ton und ihr
Gesichtsausdruck besagten, dass sie von solchen Angeboten nicht
viel hielt. «Die beiden waren verrückt nach ihr.»
Signorina Querinis Mundwinkel zogen sich missbilligend nach unten.
«Und zwar wirklich verrückt.»
«Verrückt?
Was meinen Sie damit?»
«Liebeskrank.» Ein
Wort, das sich im Mund von Signorina Querini wie Schweinepest anhörte.
«Sie hätten sie am liebsten mit Gewalt daran gehindert,
wieder in die Locanda zu gehen.»
«Was wissen Sie
über diese beiden Männer?»
Signorina Querini
überlegte kurz. Dann sagte sie: «Einer war Venezianer,
der andere ein Ausländer.»
«Hat sie
erwähnt, woher der Ausländer kam und was er in Venedig
gemacht hat?»
«Sie hat nie
viel darüber gesprochen.»
«Hätte sie
einem der beiden den Vorzug gegeben?»
Diesmal kam die
Antwort, ohne dass Signorina Querini lange nachdenken musste.
«Demjenigen, der übrig bleibt, hat sie mal
gesagt.»
Bossi runzelte die
Stirn. «Was soll das heißen?»
«Die beiden
wussten voneinander. Gina meinte, sie könne sich gut
vorstellen, dass einer den anderen umbringt.» Signorina
Querini zog wieder an ihrer Zigarette, inhalierte und blies den
Rauch zur Decke. Dann sagte sie: Aber ich glaube, sie hatte sich bereits für
einen der beiden entschieden.»
«Und für
wen?»
«Für den
Ausländer. Sie wollte weg von hier. Mit Venedig hat sie nichts
verbunden.» Das hörte sich so an, als würde
Signorina Querini ebenfalls wenig mit der Stadt
verbinden.
«Ist das alles,
was Sie mir über die beiden Männer erzählen
können?»
«Ich
fürchte.»
«Hatte Signorina
Calatafimi Verwandte in der Stadt?»
Sie dachte kurz nach.
Dann schüttelte sie den Kopf. «Gina hat jedenfalls nie
jemanden erwähnt.»
Tron erhob sich.
«Dürften wir uns noch ein wenig in ihrem Zimmer
umsehen?»
Signorina Querini, die
offenbar froh darüber war, dass sich der Besuch der Polizei
dem Ende näherte, nickte. «Ich zeige es
Ihnen.»
Das Zimmer, das
Signorina Calatafimi bewohnt hatte, lag auf der anderen Seite des
Flurs. Die Einrichtung beschränkte sich auf einen kleinen
Tisch, auf dem ein hölzerner Kasten stand, einen
Kleiderschrank, einen Stuhl und ein Bett. Der einzige Luxus bestand
in geblümten Vorhängen vor dem Fenster und einem Fell,
das als Bettvorleger diente. In der Hoffnung, auf persönliche
Gegenstände zu stoßen, hatte Tron sofort das
Kästchen untersucht. Aber er fand nur ein paar
Schminkutensilien, einen Kamm und eine Haarbürste —
keine Briefe, keine Fotografien, nichts. Es war, als hätte
hier ein Gespenst gewohnt. Als Bossi den Kleiderschrank
öffnete, stellten sie fest, dass er nicht mehr als ein halbes
Dutzend Sachen, ein wenig Wäsche und zwei Paar Schuhe
enthielt. Die Kleider waren abgetragen, zerschlissen und
billig.
Hier hatte eine junge
Frau gewohnt, die, wie die meisten mammole in Venedig, mit ihren
Einkünften gerade mal über die Runde kam. Kein Wunder,
dass sie die Gelegenheit genutzt hatte, um aus dieser wenig
einträglichen Tätigkeit — wie hatte Signorina
Querini es genannt? — auszusteigen.
12
«Ein
Eifersuchtsdrama?», fragte Bossi, als sie wieder auf dem
Campo San Biagio standen, um zurück zur Riva degli Schiavoni
zu laufen, wo die Polizeigondel auf sie wartete.
Tron blieb stehen. Ein
kalter Windstoß fegte über den Campo, und er schlug den
Kragen seines Gehpelzes nach oben. «Erst erdrosselt und dann
mit dem Messer bearbeitet», sagte er nachdenklich. «Wie
bei Othello. Sehr venezianisch.»
Plötzlich
äußerte Bossi etwas Unerwartetes. «War Othello
verrückt?»
Wie bitte? Dass der
Ispettore, dessen Interessen eher auf technischem Gebiet lagen und
der in seiner Freizeit
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