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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Groschenromane las, offenbar wusste, wer
Othello war und die Geschichte kannte, überraschte Tron. Eine
hochinteressante Frage. War Othello verrückt? Gab es
überhaupt Verrückte bei Shakespeare? War Lady Macbeth
verrückt? War Hamlet verrückt? War
    
    er verrückt, wenn er
jetzt darüber nachdachte?
    Tron rief seine
Gedanken zur Ordnung und sagte: «Es ist ein Unterschied, ob
Sie jemanden erdrosseln und erstechen oder ob sie einer geknebelten
Frau den Bauch aufschlitzen, um ihr die Leber zu entfernen. Othello
war nicht verrückt. Etwas überspannt vielleicht, aber
nicht verrückt.» Dann setzte er noch hinzu: «Wenn
es denn stimmt, was uns Signorina Querini erzählt
hat.»
    «Sie meinen, sie
hat uns belogen?»
    «Das glaube ich
nicht. Aber Signorina Calatafimi könnte ein wenig
übertrieben haben.»
    «Sie hat mit
ihren Verehrern renommiert?»
    «So könnte
man es sagen. Vielleicht hat sie sich auch nur gewünscht, zwei Männer zu
kennen, die sie heiraten wollen. Und selbst daran
geglaubt.»
    «Wie gehen wir
weiter vor?»
    «Wir sollten
herausfinden, wer diese beiden Männer sind. Der Venezianer und
der Fremde.»
    «Also
müssen wir mit der Fotografie in die Locanda», sagte
Bossi. «Aber was ist, wenn wir niemanden finden, der uns
helfen kann? Dass mir der Kellner auf Anhieb sagen konnte, wo
Signorina Calatafimi wohnt, war vermutlich eher ein
Glücksfall.»
    «Dann stecken
unsere Ermittlungen vorerst in einer Sackgasse.»
    «Es sei denn,
derjenige der beiden Verehrer, der den Mord nicht begangen hat,
meldet sich von selbst bei uns», sagte Bossi.
    Tron machte ein
skeptisches Gesicht. «Dass wir es hier mit einem Mord aus
Eifersucht zu tun haben, ist reine Spekulation. Und auch wenn es so
ist, bezweifle ich, dass der Mann sich bei uns melden wird. Niemand
will etwas mit einem Mord zu tun haben.»
    Bossi sah Tron
mitleidig an. «Und was sagen Sie dem Polizeipräsidenten,
wenn Sie ihn nachher treffen? Ein Mord ist das Letzte, was er im
Moment brauchen kann.»
    «Möglicherweise»,
sagte Tron nachdenklich, «ist es ja gar kein
Mord.»
    «Wie
bitte?»
    Tron lächelte.
«Sind wir uns darüber einig, dass wir es mit der Tat
eines Wahnsinnigen zu tun haben?»
    «Es sieht ganz
danach aus, Commissario.»
    «Ist ein
Wahnsiniger zurechnungsfähig?»
    «Nein.»
    «Und ist
jemand», fuhr Tron fort, «der nicht
zurechnungsfähig ist, für seine Verbrechen
verantwortlich?»
    Darüber musste
Bossi einen Moment nachdenken. Schließlich schüttelte er
den Kopf. «Wahrscheinlich ist er das nicht. Man wird ihn in
eine Anstalt einweisen.»
    «Richtig, Bossi.
Weil er kein Verbrechen begangen hat: Er kann gar kein Verbrechen
begehen.» 
    «Und folglich
auch keine Spuren in unserer Statistik
hinterlassen.»
    «So ist
es.»
    Bossi musste lachen.
«Ob Spaur Ihnen das abkaufen wird?»
    «Wenn ich
geschickt vorgehe, sicher. Ich werde ihm zuerst die
Tatortfotografien zeigen. Dass da jemand am Werk war, an dessen
Zurechnungsfähigkeit man zweifeln muss, dürfte selbst
Spaur auffallen.»
    «Sie wollen,
dass der Baron von allein auf diesen Gedanken
kommt?»
    Tron nickte.
«Spaur darf nicht den Eindruck haben, dass ich ihm etwas
einrede. Er soll das Wort Zurechnungsfähigkeit als Erster
aussprechen. Und vom Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit zum
Zweifel an der Schuldfähigkeit ist es nur noch ein kleiner
Schritt.» 
    Als sie ein paar
Minuten später die Riva degli Schiavoni betraten, hatte der
Wind deutlich zugenommen. Er wehte in harten, böigen
Stößen, trieb Gischt an die Kaimauer und brachte die
Masten der großen Segelschiffe, die an der Riva lagen, zum
Schwanken. Weiße Schaumkronen tanzten auf kabbeligen Wellen,
und am anderen Ufer war, zum Greifen nahe, die Isola di San Giorgio
zu sehen. Normalerweise hätte das Becken von San Marco um
diese Tageszeit voller Gondeln und Schiffe sein müssen, doch
jetzt war die Wasserfläche wie leer gefegt. Nur eine
österreichische Dampferfregatte pflügte unbeirrbar durch
die Wellen, eine dünne Fahne aus Rauch hinter sich herziehend.
Da es Unsinn gewesen wäre, sich bei diesem Wetter von einer
Gondel befördern zu lassen, beschlossen sie, sich zu Fuß
zur Questura durchzuschlagen.
    *
    «Er wartet
bereits auf Sie, Commissario», sagte Sergeant Kranzler,
Spaurs Sekretär, der ihnen eine halbe Stunde später auf
der Treppe der Questura entgegenkam. Was nur heißen konnte,
dass Tron gut daran täte, sich sogleich in das Büro des
Polizeipräsidenten zu begeben.
    Als Tron Spaurs
Büro betrat, bot

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