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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sich ihm das übliche Bild. Spaur
saß hinter seinem Schreibtisch, vor sich, auf einem silbernen
Tablett, eine Kanne mit Kaffee und eine Tasse. Neben dem Tablett
stand eine große Bonbonniere aus Porzellan, in der er seine
Konfektvorräte aufbewahrte. Wie üblich war der
Fußboden unter dem Schreibtisch von bunten Papierstücken
bedeckt, in denen Pralinen eingewickelt waren. Es roch nach Kaffee
und dem schweren Ambraduft des Herrenparfums, das Spaur seit
einiger Zeit großzügig benutzte.
    Offenbar war der
Polizeipräsident mit der Lektüre diverser Modegazetten
beschäftigt gewesen. Tron erkannte die Revue de Paris, die Gazette de la Mode
- opulente,
mit kolorierten Stahlstichen illustrierte Magazine, auf die auch
die Principessa abonniert war. Beschäftigte man sich im Hause
Spaur bereits intensiv mit der Frage, was die junge Baronin auf dem
Ball in der Hofburg tragen würde? Es sah ganz danach
aus.
    Tron fiel auf, dass
Spaur sich inzwischen anders kleidete als vor seiner Heirat mit
ihr. Das dunkelrote Samtbarett, das er im letzten Jahr getragen
hatte, um sich vor ihr ein künstlerisches Air zu geben, war
ebenso verschwunden wie die farbigen Hemden und die gelben
Gamaschen. Offenbar hielt die junge Baronin, die vor einem Jahr
noch Soubrette
am Malibran-Theater gewesen war, nun ein seriöseres
Erscheinungsbild ihres Gatten für angemessen, obgleich ein
Anflug gehobener Boheme immer noch unübersehbar
war.
    Spaur trug einen
konventionell geschnittenen Gehrock, aber sein Hemd war nicht
weiß, sondern hatte einen leichten Fliederton. Dazu passte
der blaue, mit gelben Punkten versehene Seidenstoff seiner Fliege.
Er sah aus wie ein erfolgreicher Theaterdirektor.
    «Nehmen Sie
Platz, Commissario», sagte der Polizeipräsident. Seine
Stimme war eisig, die Handbewegung knapp. Es war so, wie Tron es
befürchtet hatte. Spaur machte ihn höchstpersönlich
für das Verbrechen verantwortlich.
    «Noch eine
Leiche, und wir sind geliefert», sagte der Baron mit
mühsam unterdrückter Wut in seiner Stimme.
    «Nur unter der
Voraussetzung, dass sich nicht noch ein paar Morde in Graz
ereignen.»
    «Wovon
bedauerlicherweise nicht auszugehen ist», sagte Spaur
verdrossen. «Graz ist eine schrecklich friedliche
Stadt.» Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah
Tron an. «Was ist passiert?»
    Da Tron wusste, dass
Spaur nie an Einzelheiten interessiert war, fasste er sich kurz.
«Zum Schluss hat er ihr den Bauch aufgeschlitzt und die Leber
entfernt», beendete er seinen Bericht. «Dr. Lionardo
meint, der Mörder müsse über gründliche
anatomische Kenntnisse verfügen», setzte er noch hinzu.
Dann zog er Bossis Fotografien aus dem Umschlag und breitete sie
auf dem Schreibtisch des Polizeipräsidenten aus.
    Spaur nahm die
Aufnahmen mit spitzen Fingern zur Hand, betrachtete jede einzelne
genau und schüttelte schließlich angewidert den Kopf.
«Das ist unglaublich. Warum hat der Mann ihr die Leber
entfernt? Was soll das?»
    «Wir wissen es
nicht. Es könnte ein Eifersuchtsdrama dahinterstecken. Die
Frau hatte angeblich eine Beziehung zu zwei Männern, die sie
beide in der Locanda kennengelernt hat.»
    Der
Polizeipräsident schob die Fotografien zusammen. «Sind
Ihnen diese beiden Männer bekannt?»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Noch nicht. Wir wissen im Moment nur, dass es sich
um einen Venezianer und um einen Ausländer gehandelt hat. Die
Männer waren aufeinander eifersüchtig. Einer von ihnen
könnte die Frau getötet haben.»
    «Eifersucht», sagte
Spaur, «ist noch lange keine Erklärung für diese
unglaubliche Brutalität.»
    Tron beschloss, den
Köder auszuwerfen. Er nickte zerstreut und sagte: «Man
hat fast den Eindruck, dass nur ein Wahnsinniger eine solche Tat
begangen haben kann.»
    Na, bitte. Spaur
stutzte. Er zog die Stirn in Falten und dachte nach. Plötzlich
hellte sich seine Miene auf. «Sagten Sie, nur ein
Wahnsinniger könne solch eine Tat begehen?»
    «Jedenfalls
waren das die Worte von Ispettor Bossi, wenn ich es recht in
Erinnerung habe.»
    «Ein guter
Mann», sagte Spaur lebhaft. «Ich glaube, er hat diesen
speziellen Sachverhalt korrekt beschrieben.»
    «Welchen
speziellen Sachverhalt? Den Mord?»
    Spaur trank einen
Schluck aus seiner Kaffeetasse. Dann lehnte er sich zurück und
stieß einen tiefen Seufzer aus. «Die Gefahr der
Dienstroutine», sagte er schließlich, «besteht
darin, dass wir irgendwann dazu neigen, nur noch in eingefahrenen
Gleisen zu denken.»
    Aha, jetzt kam es.
Tron runzelte unschuldig die

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