Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
stoßen, für minimal.»
«Ich hatte
plötzlich ein ungutes Gefühl», sagte Bossi.
«Und dann war da dieses Messer in der Tasche seines
Gehrocks.»
Tron runzelte die
Stirn. «Sie haben ein Messer in der Tasche seines Gehrocks
gesehen?»
«Eigentlich nur
den Umriss eines länglichen Gegenstandes», räumte
Bossi ein. «Es passte zu meinem unguten Gefühl. Und ich
wollte der Sache auf den Grund gehen.»
«Aber vor diesem
Stundenhotel waren Sie dann auch nicht viel
schlauer.»
«Leider nicht.
Also musste ich ihn auffordern, mir den Inhalt seiner Taschen zu
zeigen.»
«Ohne sich als
Ispettore der venezianischen Polizei auszuweisen?»
«Wenn er
tatsächlich unser Mann gewesen wäre, hätte er sich
bei dem Wort Polizei sofort zur Wehr gesetzt. Bei
Raubüberfällen rücken die Leute meist ohne
großen Widerstand mit ihren Sachen raus.»
«Und daraus,
dass er die Flucht ergriffen hat, haben Sie geschlossen, dass es
sich um unseren Mann gehandelt hat?»
Bossi nickte.
«Dazu passte, dass er nicht laut um Hilfe gerufen hat, als er
vor mir geflüchtet ist.»
«Haben Sie den
Schuss absichtlich abgefeuert?»
«Er hat sich
versehentlich gelöst, als mich der Ellbogen des Mannes am Kinn
traf.»
«Und
dann?»
«Bin ich ihm
nachgerannt», sagte Bossi. «Den Rest der Geschichte
kennen Sie.»
«Wie sind Sie
eigentlich auf das Rudolfo gekommen?»
«Es liegt auf
meinem Weg nach Hause. Und da ich die ganze Idee für
...» Bossi brach den Satz ab und starrte in seine
Kaffeetasse.
Tron musste lachen.
«Und da Sie die ganze Idee für Unsinn hielten, haben Sie
beschlossen, eine Runde im Rudolfo zu drehen und sich
anschließend zu verdrücken. Sofort nach Hause konnten
Sie nicht, weil Sie sich vor Ihrer Mutter nicht in diesem Aufzug
präsentieren wollten.»
Bossi machte ein
verdrossenes Gesicht. «Spaur hätte garantiert
nachgefragt, und Sie selber waren ja auch
dafür.»
«Ich hatte
lediglich geäußert», sagte Tron, «dass auch
die unwahrscheinlichsten Zufälle nie auszuschließen
sind.»
Bossi zupfte
nachdenklich an den nassen Ärmeln seines Promenadenkleides.
«Wäre es denkbar, dass der Comte de Chambord in diese
Geschichte verwickelt ist? Dass er sich nachts in eine Art
...Werwolf verwandelt?»
«Ich gebe
zu», sagte Tron, «dass diese Vorstellung einen gewissen
Reiz hat. Aber der Comte de Chambord bewohnt den Palazzo Cavalli
nicht allein.»
«Und was machen
wir jetzt?»
«Ich rede morgen
mit Signor Sorelli», sagte Tron. «Vielleicht hat er
etwas beobachtet.» Er sah Bossi an. «Wollen Sie sich
umziehen, bevor Sie gehen? Soll ich Ihnen etwas Trockenes zum
Anziehen geben?»
Tron bezweifelte, dass
dem Ispettore einer seiner Gehröcke passen würde, und er
wusste, dass Bossi großen Wert darauf legte, auch unter
widrigen Umständen adrett gekleidet zu sein.
Bossi war aufgestanden
und vor den Spiegel über dem Kamin getreten. Dort fuhr er sich
seufzend mit der Hand über die Perücke. «Ich sehe
fürchterlich aus, Commissario.»
Er drehte sich zur
Seite, warf seinem Spiegelbild einen melancholischen Blick zu und
strich das Kleid über seinen Hüften glatt. Plötzlich
glich er einer tragischen, vom Schicksal verfolgten Kokotte.
Schließlich sagte er mit einer Stimme, die eine Terz nach
oben gerutscht zu sein schien: «Ob die Principessa etwas zum
Anziehen hat? In diesem Kleid kann ich unmöglich vor die
Tür gehen.»
39
Als Tron am
nächsten Morgen im Palazzo Balbi-Valier erwachte, war die
Principessa bereits aufgestanden und hatte das Schlafzimmer
verlassen, ohne ihn zu wecken. Ein Blick auf die Stutzuhr auf dem
Nachttisch zeigte Tron, dass es kurz vor neun war. Obwohl er
länger als acht Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich
müde und ausgelaugt.
Irgendwann in der
Nacht war er aufgewacht und hatte sich dann vom ruhigen Atem der
Principessa wieder in den Schlaf wiegen lassen. Danach allerdings
hatte er einen grotesken, aber sehr deutlichen Traum gehabt: Bossi
war in einem blauen Promenadenkleid auf der Questura erschienen und
hatte angekündigt, seine Dienstgeschäfte in Zukunft als
Signorina zu versehen. Und zwar mit Einwilligung des
Polizeipräsidenten, der — so hatte Bossi behauptet
— ebenfalls entschlossen war, von nun an ein Kleid zu tragen.
Daran, dass Bossi in diesem Traum einen missbilligenden Blick auf
seinen männlichen Gehrock geworfen hatte, erinnerte sich Tron
noch. Danach verlor sich der Traum in einem wirren Haufen von
Bildern und Handlungsfragmenten.
Eine halbe Stunde
später war er
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