Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
verschlang. Andererseits war, so wie die Dinge
lagen, alles denkbar.
Tron räusperte
sich nervös. «Sprechen die Kammerdiener
Italienisch?»
«Sie waren
gestern gegen neun in der Küche, also können sie es nicht
gewesen sein.» «Woher wissen Sie das?»
«Weil ich sie
dort getroffen
habe.»
«Und die
Köche?»
«Sind zwei
beleibte Herren aus der Bretagne, die kaum Italienisch
können.»
Tron seufzte.
«Bleibt also nur noch der Gondoliere.»
«Der ist
mindestens sechzig. Und spricht ein lupenreines
Veneziano.»
Dass nur noch der
Gondoliere übrig blieb, stimmte natürlich nicht ganz.
Tron ergriff das Milchkännchen und gab einen Schuss in seine
Tasse. Den reizvollen Gedanken, seinen Kaffee ebenfalls mit Sambuca
zu veredeln, hatte er kurz erwogen und wieder verworfen —
schließlich war er im Dienst. Er trank einen Schluck, lehnte
sich zurück und fragte in beiläufigem Ton: «Und der
Comte de Chambord?»
Julien lächelte
gequält. «Ich hatte befürchtet, dass Sie mich das
fragen würden.»
«Warum
befürchtet?»
«Weil meine
Tätigkeit», sagte Julien steif, «für Seine
Hoheit der Vertraulichkeit unterliegt.»
«Es geht hierbei
aber nicht um Ihre Tätigkeit als
Privatsekretär.»
Julien machte eine
vage Handbewegung. «Ich könnte Ihnen ohnehin nicht viel
sagen.» Er hatte sich eine frische Maria Mancini angesteckt und blies
einen dünnen Rauchring über den Tisch — was Tron
wieder auf irritierende Weise an die Principessa
erinnerte.
«Was könnten Sie mir
sagen?»
«Dass der Comte
de Chambord oft nachts das Haus verlässt und niemand
weiß, was er dann treibt.»
«Hat er eine
Geliebte?»
«Nicht dass ich
wüsste. Das heißt, äh ...»Julien hielt inne
und machte ein unschlüssiges Gesicht. «Pater
Francesco hat
mich vor ein paar Tagen im Treppenhaus angesprochen und wollte mich
in ein Gespräch verwickeln. Ich habe aber
abgelehnt.»
«Weshalb?»
«Weil ich
glaube, dass er mit mir über das Privatleben des Comtes reden
wollte. Er schien sich Sorgen zu machen. Ich finde, was der Comte
auf seinen nächtlichen Exkursionen treibt, ist seine
Sache.»
Tron beugte sich
über den Tisch. «Soll ich mit Pater Francesco
sprechen?»
«Das müssen
Sie selbst entscheiden.»
«Und wie kann
ich ihn erreichen, ohne dass der Comte davon
erfährt?»
Darüber musste
Julien nachdenken. Seine Antwort war dann erstaunlich präzise.
«Er besucht jeden Nachmittag die Messe in San Giacomo am
Rialto. Sie könnten ihn nach dem Gottesdienst
ansprechen.»
«Woran erkenne
ich den Pater?»
Julien musste lachen.
«Er ist glatt rasiert und hat einen ausländischen
Akzent.» Dann wurde er wieder ernst. «Pater Francesco
trägt bei kaltem Wetter einen dunkelblauen Radmantel über
der Soutane. Und er geht bei Regen nie ohne seinen schwarzen
Regenschirm aus dem Haus.»
40
Erbaut am 23.
März, dem Tag der Erschaffung der Welt, der Verkündigung
Mariä und der Kreuzigung Christi, im Jahre 421, dem
Geburtsjahr Venedigs ... So jedenfalls lautete die Legende.
Auch hieß es, dass es sich bei San Giacomo di Rialto um das
älteste Steingebäude der Stadt handelte. Tron,
notorischer Skeptiker, bezweifelte diese Angaben, aber das hatte
seiner Sympathie für diese kleine Kirche mit ihrer immer noch
funktionierenden Uhr aus dem 14. Jahrhundert und ihrer
geheimnisvollen Atmosphäre nie einen Abbruch getan.
Als er die Kirche
gerade noch rechtzeitig zum introitus betrat und leise auf
der letzten Bank neben dem Taufbecken Platz genommen hatte, stellte
er fest, dass sich nicht mehr als zwei Dutzend Personen in dem
kleinen Kirchenraum versammelt hatten. Wie immer handelte es sich
um die übliche Mischung von schwarzgekleideten alten Frauen
und älteren Signori. Lediglich ein Leutnant der
Kaiserjäger, dessen weißer Uniformmantel sich vom Grau
des Publikums abhob, fiel aus dem Bild.
Außer durch die
Kerzen auf dem Altar war der Raum nur durch ein paar Lampen
erhellt, die wie trübgoldene Lichter an der Decke
aufgehängt waren. Eine sonderbare Lauheit hauchte durch das
Kirchengewölbe, das einen seltsamen Geruch von feuchter Erde
und heißem Wachs ausströmte. Hinzu kam der Duft von
altem Weihrauch, der einer von der Decke hängenden Ampel in
einer der Seitenkapellen entströmte. Tron konnte die
dünnen Rauchschwaden sehen, die ein leichter Luftzug unter dem
Messinggefäß aufwirbelte. So wie der Kirchenraum selbst,
mit seinen ängstlichen Lichtern an der Decke und den uralten
Mauern, stellte der Geruch ein seltsames Gemisch von
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