Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Geräusch von sich. Merkwürdigerweise
kam das Geräusch nicht aus dem Mund des Mannes, sondern
schien, fast wie bei einem Bauchredner, aus seinem Inneren zu
dringen. Keine Frage, der Mann — offensichtlich unerfahren im
Umgang mit käuflicher Liebe — war hochgradig
nervös.
Bossi warf schelmisch
lächelnd den Kopf in den Nacken und schürzte die Lippen
— eine Geste, die er für ausgesprochen weiblich hielt.
Dann klapperte er mit seinen künstlichen Wimpern und sagte:
«Hallo, Schätzchen.»
37
Was antwortet man
einer blonden Signorina, die das Gespräch mit Hallo,
Schätzchen eröffnet und eine
auffällig tiefe Stimme hat? Er schwieg, deutete eine knappe
Verbeugung an, während das Tier in seinem Inneren immer noch
heulte. Er konnte nur hoffen, dass nichts von dem Jaulen nach
außen drang und dass das Tier zur Vernunft kam. Denn
natürlich war der Typ ein Witz. Wenn man direkt vor ihm stand,
erkannte man sofort, mit wem man es hier zu tun hatte. Die
schlampig montierte Perücke saß schief auf dem Kopf, und
der Versuch des Burschen, seine großen Hände in schwarze
Frauenhandschuhe zu zwängen, war eindeutig missglückt; es
sah aus, als könnten die Nähte jeden Moment platzen.
Komplettiert wurde das Bild durch einen verschmierten Lidstrich und
ungeschickt aufgeklebte, bürstenartig wirkende Wimpern. Der
Bursche war ein nachlässig aufgebrezelter Transvestit. Einen
Moment lang erwog er, sich umzudrehen und ihn einfach
stehenzulassen. Gab es Männer, deren Sinne beim Anblick dieser
Vogelscheuche in Wallung gerieten? Sahen alle Transvestiten so aus,
oder war er hier an ein besonders extremes Exemplar geraten?
Merkwürdig, dachte er, dass der Kerl aus ein paar Metern
Entfernung tatsächlich wie eine attraktive junge Frau auf ihn
gewirkt hatte. Nur aus der Nähe blieb nicht viel davon
übrig. Allerdings war auch merkwürdig, dass die Bestie in
ihm nicht den geringsten Anstoß daran nahm. Er hatte fast den
Eindruck, dass sich das Heulen noch verstärkt hatte — so
als wäre die Bestie auf eine besonders leckere Beute
gestoßen.
Was dann letztlich den
Ausschlag gab, sich nicht abzuwenden, sondern ...Ja, was? Mit einem
Transvestiten auf ein Hotelzimmer zu
gehen? Vorbei an einem Portier, der anzüglich grinste? Sich
womöglich über ihn lustig machte? Er war sich nicht
sicher, ob er einer solchen Situation emotional gewachsen war,
obwohl das Projekt durchaus seine Reize hatte. Leber war Leber,
wenn auch die Vorstellung, den Bauch des Mannes für die Operation zu
entblößen, etwas Abartiges hatte. Eigentlich, dachte er,
war es ein Skandal, dass die venezianischen Behörden bei
Transvestiten beide Augen zudrückten.
Er räusperte sich
und lächelte den Burschen freundlich an.
«Champagner?»
Der stieß ein
tuntiges Lachen aus und nickte affektiert. Beim Lachen sah man
dunkelroten Lippenstift auf seinen Schneidezähnen. Der Mann
machte einen nervösen Eindruck. Offenbar ging er diesem
Geschäft noch nicht lange nach. Vielleicht, dachte er, war es
ja seine Premiere. Und so, wie die Dinge lagen, auch seine
Abschiedsvorstellung.
*
Eine halbe Stunde
später überquerten sie Seite an Seite den Campo San Moise
— auf den ersten Blick ein Pärchen wie viele, vielleicht
auf dem Weg ins Hotel oder zu einem der zahlreichen
Maskenbälle. Obwohl es sich deutlich abgekühlt hatte,
schwitzte er so stark, dass er am liebsten seine Halbmaske vom
Gesicht genommen hätte. Aber das würde er erst im
Hotelzimmer tun. Das Tier in ihm hatte sein Jaulen eingestellt.
Jetzt stieß es lediglich hin und wieder ein leises Knurren
aus. Er bezweifelte, dass der Bursche an seiner Seite es hören
konnte.
Ein travestito also. Das war nicht
ganz das, was ihm persönlich vorschwebte — er war
schließlich nicht pervers. Aber aus Erfahrung wusste er, dass
es irgendwann einen Punkt gab, an dem das Tier in ihm das Kommando
übernahm. Einen Punkt, an dem er nur noch versuchen konnte,
die Angelegenheit in halbwegs vernünftige Bahnen zu leiten. Im
Rudolfe war ihm das leider nicht gelungen. Als der Bursche ihn nach
zwei Gläsern Champagner zum Tanz aufgefordert hatte - so als
wäre es selbstverständlich, dass nicht der Mann einen entsprechende
Aufforderung ausspricht —, da hatte er das Ansinnen
zunächst abgewehrt, war damit aber auf wütenden Protest
des Tieres gestoßen. Schließlich, als das Jaulen in ihm
zu laut wurde, hatte er dem travestito seinen rechten Arm
entgegengestreckt und ihn auf die Tanzfläche geführt.
Dann hatten
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