Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
abgespielt hat,
konnte ich es unmöglich bemerken.»
Tron beschloss, ein
wenig deutlicher zu werden. «Wissen Sie, ob der Comte de
Chambord sich um diese Zeit im Palazzo Cavalli aufgehalten
hat?»
«Warum fragen
Sie mich das?»
«Ich hatte eine
Unterredung mit Signor Sorelli. Er hat mir geraten, mich an Sie zu
wenden.»
Die dunkelbraunen
Augen des Paters nahmen Tron misstrauisch ins Visier. «Und
worüber möchten Sie mit mir sprechen?»
«Über den
Comte de Chambord», sagte Tron. «Signor Sorelli meinte,
Sie hätten sich Sorgen um ihn gemacht.»
Der Pater stieß
einen tiefen Seufzer aus. «Der Comte», sagte er
traurig, «verlässt den Palazzo Cavalli fast jede zweite
Nacht und bleibt stundenlang fort. Und wenn Seine Hoheit»,
fügte er in salbungsvollem Ton hinzu, «dereinst vor dem
Thron des Allmächtigen steht, dann ...»
«Benutzt er
für seine nächtlichen Ausflüge die
Gartenpforte?», unterbrach ihn Tron brüsk.
Bei dem Wort Gartenpforte war der Pater
zusammengezuckt. «Der Mann, über den wir reden»,
sagte er theatralisch, «ist vielleicht eines Tages König
von Frankreich.»
«Ich habe eine
Mordserie aufzuklären, Hochwürden», sagte Tron. Er
stellte fest, dass ihm der Pater nicht sonderlich sympathisch war.
«Politik interessiert mich nicht.»
Pater Francesco
räusperte sich nervös. «Und was geschieht, wenn
sich herausstellt, dass der Comte tatsächlich in diese
Angelegenheit verwickelt ist?»
Darüber musste
Tron nicht lange nachdenken. «Dann wird die Regierung die
Sache vertuschen. Und hätte den Comte dann in der Hand.»
Tron sah Pater Francesco eindringlich an. «Wo ist der Comte
gestern Abend gegen zehn Uhr
gewesen?»
Der Gesichtsausdruck
des Paters schien sich plötzlich zu verändern. Tron kam
der Gedanke, dass er nicht nur über die soeben gestellte Frage
nachdachte, sondern auch überlegte, welche Vorteile für
den Vatikan sich aus einer Mitwisserschaft für ihn ergeben
könnten.
«Chambord», sagte der
Pater, «hat gestern gegen acht das Haus verlassen. Wann er
zurückgekommen ist, weiß ich nicht.»
«Und was, denken
Sie, treibt der Comte, wenn er nachts das Haus
verlässt?»
«Ich denke, er
geht zu Frauen.» Pater Francesco stieß ein zynisches,
völlig unpriesterliches Lachen aus. «Und so, wie es
aussieht», fuhr er fort, «scheine ich ja recht gehabt
zu haben.» Dann trat er einen Schritt zurück und
entfaltete demonstrativ seinen Regenschirm. Offenbar hatte er nicht
die Absicht, das Gespräch fortzusetzen. «Was haben Sie
vor, Commissario?»
«Den
Polizeipräsidenten über unseren Verdacht zu
unterrichten», sagte Tron. «Die Angelegenheit ist
äußerst heikel, zumal Baron Spaur mit dem Comte de
Chambord bekannt ist.»
Er verneigte sich
knapp, und Pater Francesco nickte ihm zum Abschied zu. Tron sah ihm
nach, bis er, den Schirm über sich haltend, im Regen
verschwand. Vielleicht, dachte Tron, überlegte Pater Francesco
bereits, welchen Preis er von Chambord für sein Schweigen
verlangen konnte, falls dieser ungeheuerliche Verdacht zutraf. An
einem ehemaligen Ausweider auf dem Thron
Frankreichs würde die heilige Kirche viel Freude
haben.
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«Die
Vorstellung», sagte Spaur, «dass es sich bei dem Comte
de Chambord um den Ausweider handeln könnte,
ist absurd, Commissario.»
Der
Polizeipräsident warf einen wütenden Blick über
seinen Schreibtisch, bevor er ein Praline in seinem Mund
verschwinden ließ. Vor ihm lag, neben der obligatorischen
Konfektschachtel, demonstrativ auf der zweiten Seite aufgeschlagen,
die Gazzetta
di Venezia. Spaurs Stimmung ließ darauf
schließen, dass er den Artikel über den Mord auf dem
Campanile bereits ausführlich mit seiner Gattin diskutiert
hatte. Es lag auf der Hand, dass Signorina Violetta, wie Tron und
Bossi sie immer noch unter sich nannten, nicht erbaut gewesen war.
Was ihm Spaur vermutlich, dachte Tron, sogleich mitteilen
würde.
«Die
Baronin», sagte Spaur mit Grabesstimme, «ist über
Ihre Arbeit wenig erbaut. Das hat sie mir deutlich zu verstehen
gegeben.»
Na bitte. Tron
hüstelte, um ein Lächeln zu verstecken.
«Sie hat
ernsthafte Zweifel daran geäußert», fuhr Spaur,
immer noch wütend, fort, «dass ich meine Beamten im
Griff habe.»
Er wickelte ein
weiteres Praline aus, ließ das Papier achtlos auf den Boden
fallen und seufzte. «Unglücklicherweise habe ich der
Baronin gegenüber angedeutet, dass der Fall kurz vor der
Aufklärung steht. Und jetzt tischen Sie mir das
auf!»
«Was tische ich
Ihnen
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