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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Tron, das konnte man eigentlich
nicht.

44
    Er trat ans Fenster,
schob die Gardine ein wenig zurück und sah, wie der
Commissario den Garten durchquerte, das Tor öffnete und sich
auf dem Campo San Vidal nach rechts wandte. Dann trat er vom
Fenster zurück, schenkte sich einen doppelten Cognac ein und
stieß einen tiefen Seufzer aus. Nein - dass diese Unterredung
befriedigend verlaufen war, ließ sich nicht sagen. Zwar hatte
es der Commissario nicht ausgesprochen, aber es war ihm deutlich
anzusehen gewesen, dass er ihm kein Wort geglaubt hatte. Das Schicksal
Frankreichs — die Agenten Napoleons
— das
alles hatte sich angehört wie aus einem Groschenroman, aber
etwas Überzeugenderes war ihm nicht eingefallen. Und
abzustreiten, dass er gestern Abend das Haus verlassen hatte,
wäre töricht gewesen. Er konnte sich zwar nicht daran
erinnern, dass er dem Polizeipräsidenten auf der Piazza
begegnet war und dieser ihn gegrüßt hatte, aber
daraufkam es jetzt nicht an.
    Jedenfalls durfte er
sich glücklich schätzen, dass er den Mann, der ihm
gefolgt war, noch rechtzeitig bemerkt hatte. Seltsam, dachte er,
wie man im Laufe der Jahre einen siebenten Sinn dafür
entwickelte, ob die Luft rein ist oder nicht. Er hatte den Burschen
zum ersten Mal auf der Piazza hinter sich gespürt, was
eigentlich absurd war, denn der Markusplatz war gestern Nacht trotz
des trüben Wetters unerwartet belebt gewesen. Als er die
Piazza dann durch den Uhrenturm verlassen hatte und die Merceria
entlanglief, wusste er, dass es einen Verfolger gab
— so als hätte er ein drittes Auge in seinem Hinterkopf.
Und einen Mann abzuschütteln, von dem man wusste, dass er
einem folgte, war nie ein Problem für ihn gewesen, zumal er
die Stadt und ihre einschlägigen Etablissements inzwischen gut
kannte. Das Deila Guerra war nicht das eigentliche Ziel seines
Ausfluges gewesen, doch es lag in der Nähe und verfügte
über den Vorteil mehrerer Ausgänge. Als sich der Bursche,
dessen Gesicht ihm trotz der Halbmaske seltsam bekannt vorkam,
ebenfalls an den Ausschank gestellt hatte, musste er nur noch eine
günstige Gelegenheit abwarten, die sich dann auch einstellte:
Ein paar Handwerker stellten sich zwischen ihn und seinen
Verfolger.
    Was sich
für ihn an diesem Abend nicht mehr
einstellte, war der heitere Tatendrang, mit dem er aufgebrochen
war. Nachdem er sich durch den Küchenausgang abgesetzt hatte,
war er lustlos durch die Stadt gelaufen und eine Stunde später
wieder im Palazzo Cavalli eingetroffen — frustriert und mit
trüben Vorahnungen erfüllt. Denn war es wirklich eine
Überraschung gewesen, als ihm der Commissario vorhin gemeldet
wurde? Eigentlich nicht. Er hatte immer damit gerechnet, dass eines
Tages die Stunde der Wahrheit kommen würde, und inzwischen
konnte er das Ticken der Uhr und das Zischen der Lunte deutlich
hören.
    Jedenfalls war nicht
zu bestreiten, dass ihm das Wasser inzwischen bis zum Hals reichte.
Ob er einfach für ein paar Monate verreisen sollte? So lange,
bis Gras über die Angelegenheit gewachsen war? Aber das
hätte seine Lebensfreude erheblich beeinträchtigt. Es gab
keine Stadt, die ihm so viele interessante Möglichkeiten bot
wie Venedig. Speziell während der Karnevalszeit, in der alle
Welt eine Maske trug, jeder zweite Nachtschwärmer mit einem
ausländischen Akzent sprach und auch ausgefallene Wünsche
für einen kleinen Aufpreis befriedigt wurden. Und an der
Ausgefallenheit seiner Wünsche etwas zu ändern, hatte er
lange aufgegeben.
    Er schenkte sich einen
zweiten Cognac ein, kippte ihn mit einem Zug hinunter und trat
wieder ans Fenster. Wahrscheinlich, überlegte er, war der
Commissario jetzt auf dem Weg in die Questura, um dem
Polizeipräsidenten Bericht über ihr Gespräch zu
erstatten. Ob dieser Spaur tatsächlich gegen ihn ermitteln
würde? Durfte er das, ohne vorher Kontakt mit
dem Stadtkommandanten aufzunehmen? Der wiederum das Hauptquartier
in Verona in Kenntnis setzen müsste, das seinerseits gezwungen
wäre, den Ballhausplatz zu informieren und um entsprechende
Instruktionen zu bitten. Nein - dies alles war sehr
unwahrscheinlich. Außerdem hatte er den Baron und seine junge
Frau — eine ehemalige Soubrette, wie man munkelte —
bereits einmal im Palazzo Cavalli empfangen. Und er hatte
angedeutet, wie sehr ihn eine weitere Einladung in das Haus des
zukünftigen Königs von Frankreich ehren würde. Also
würde dieser Spaur beide Augen fest zudrücken und ihm
allenfalls einen diskreten Wink zukommen lassen.

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