Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
leicht
erhöhte Tanzfläche, auf der lebhafter Betrieb herrschte,
bestand aus gehobelten Brettern, die man auf dem
Ziegelfußboden fixiert hatte. Eine Vier-Mann-Kapelle —
Klavier, Kontrabass und zwei Violinen — quälte sich
durch einen Walzer, und über allem lag eine dicke Wolke aus
Zigarren- und Zigarettenqualm. Offiziere — jedenfalls in
Uniform — konnte Bossi nicht entdecken. Stattdessen sah er
viel einfaches Volk in fadenscheinigen Gehröcken und mit
rötlichen, verschwitzten Gesichtern.
Der Comte hatte an der
Theke Platz genommen. Bossi begab sich ebenfalls zum Ausschank,
ließ sich ein paar Hocker weiter nieder und bat die
Saaltochter hinter dem Tresen um ein Glas Champagner. Dann sah er,
wie der Comte de Chambord eine dunkelhaarige Signorina mit einer
arroganten Handbewegung fortwedelte. Was ihn nicht
überraschte, denn bekanntlich war er auf grünäugige
Blondinen abonniert. Ein paar Ballgäste, Handwerker mit bunten
Hütchen aus Pappe, drängten sich jetzt zwischen ihn und
den Comte, verlangten lautstark nach Bier, und da es hier, anders
als im Rudolfo, keinen Spiegel hinter der Theke gab, war der Comte
plötzlich aus seinem Blickfeld
verschwunden.
Erstaunlich, dachte
Bossi, indem er das eben servierte Glas mit seinem prickelnden
Inhalt zum Mund führte, wie leicht und problemlos sein
nächtlicher Einsatz bisher abgelaufen war. Allerdings stellte
sich jetzt die Frage, wie er es halten sollte, wenn
tatsächlich eine grünäugige Blondine die Bahn des
Comtes kreuzte und dieser mit seiner Beute aus dem Guerra
verschwände. Natürlich würde er ihnen folgen. Doch
was war, wenn der Comte für diesen Gang auf seine Blendlaterne
verzichtete? Durfte er das Risiko eingehen, den Täter und sein
Opfer in der Dunkelheit zu verlieren? Nein — natürlich
nicht. Daraus folgte, überlegte Bossi weiter, dass der Zugriff
noch im Vestibül erfolgen musste. Falls der Comte de Chambord
überhaupt im Guerra fündig wurde. Denn sehr viele
grünäugige Blondinen gab es in Venedig nicht.
Bossi, dessen Sicht
auf den Comte immer noch durch die lärmenden Handwerker
verstellt war, spürte plötzlich eine Hand an seiner
Schulter. Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf eine
lächelnde Signorina, und beinahe hätte er seinen Augen
nicht getraut. Sie war blond, höchstens zwanzig Jahre alt und
hatte Augen, deren helles Grün selbst in dem trüben Licht
deutlich zu erkennen war. Sie sah ihn mit einem leicht
spöttischen Gesichtsausdruck an. Vermutlich, dachte Bossi,
weil sie ihn seiner konsternierten Miene wegen als unbedarften
Provinzler klassifizierte, der jetzt, wo es ernst wurde, kalte
Füße bekam. Er verneigte sich knapp - immer noch ein
wenig steif. Worauf die Signorina, bei der es sich definitiv nicht um einen Transvestiten
handelte, ihr Lächeln erneuerte, ein wenig mit den Wimpern
klapperte und «Hallo, Schätzchen» zu ihm
sagte.
43
Tron legte die
Kuchengabel auf den Teller zurück, spülte den Rest des
Zitronentörtchens mit einem Schluck Kaffee hinunter und sah
Bossi an. «Und dann?»
Sie hatten sich
für neun Uhr im maurischen Salon des Café Florian
verabredet — eine für Trons Verhältnisse frühe
Zeit. Bossi, obwohl ihn das Tragen seiner prächtigen
dunkelblauen Uniform immer in gute Stimmung versetzte, wirkte
übermüdet und frustriert.
Er stieß einen
so tiefen Seufzer aus, dass die drei Engländerinnen am
Nebentisch die Köpfe drehten und einen mitleidigen Blick auf
den jungen, blendend aussehenden Polizeibeamten warfen. «Dann
war der Comte de Chambord plötzlich verschwunden», sagte
Bossi. «Wenn er zum Ausgang gelaufen wäre, dann
hätte er an mir vorbeikommen müssen. Der Bursche hat sich
einfach in Luft aufgelöst.» «Wie lange haben Sie
mit der Signorina geredet?»
«Vielleicht
fünf, sechs Minuten. Sie ist sofort mit meinem Vorschlag, den
Comte in eine Falle zu locken, einverstanden gewesen. Zumal sie
kein Risiko eingegangen wäre. Der Comte hätte sich erst
im Hotel über sie hergemacht. Und sie hatte mir gesagt, in
welches Hotel sie gehen würden.»
«Ein Hotel in
der Nähe?»
«Albergo Rossini
in der Calle Casselleria.»
«Also nur ein
paar Schritte.»
«Ich
hätte», fuhr Bossi fort, «den Comte verhaftet,
kurz nachdem er und die Signorina das Zimmer betreten
hätten.»
«Halten Sie es
für denkbar, dass der Comte, während Sie mit der
Signorina sprachen, sein Opfer gefunden hat und mit ihm
verschwunden ist?»
Bossi machte ein
skeptisches Gesicht. «Das ist denkbar, aber
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