Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
habe. Dem Comte ist das Wappen aufgefallen, und ich
habe ihm erzählt, dass der Ring ein Erbstück meiner
Mutter ist.»
«Ist er ein Erbstück
Ihrer Mutter?»
Julien schüttelte
heftig den Kopf wie ein Schwimmer, der sich das Wasser aus den
Ohren schüttelt. «Nein. Ich habe ihn beim Spiel
gewonnen. Wir haben nichts mit den Laval-Montmorencys zu
schaffen.» Er sah Tron mit runden Augen an, in denen jetzt
unverhohlene Angst zu erkennen war. «Halten Sie mich
tatsächlich für den Ausweider?»
Gute Frage. Die entscheidende Frage, dachte Tron.
Was hielt er eigentlich von Julien — abgesehen davon, dass er
ihn aus persönlichen Gründen lieber in Paris gewusst
hätte? War es dem Neffen zuzutrauen, dass er junge Frauen
erdrosselte und aufschlitzte? Frauen, die alle blond und
grünäugig waren — wie die Principessa? Tat er das
gewissermaßen als Ersatz ? Nein, das war ein grotesker
Gedanke. Doch wenn es sich bei dem Neffen nicht um den Ausweider
handelte — eine Vorstellung, die Tron auf einmal völlig
absurd vorkam —, dann konnte ihm nur der Oberst Messer,
Lederriemen und Masken untergeschoben haben.
«Was ich von
Ihnen halte», sagte Tron, dessen Beine sich inzwischen
anfühlten, als würden sie in Eimern mit Eiswasser stehen,
«ist nicht von Belang. Der Fall liegt jetzt in den
Händen der Kommandantura. Offiziell kann ich nichts
unternehmen.»
«Was
könnten Sie inoffiziell unternehmen?»
«Mit Ihnen
sprechen», sagte Tron. «Und das mache ich bereits.
Inoffiziell. Der Passierschein, den ich hier habe», fuhr er
fort, indem er auf seine Manteltasche klopfte, «hätte
mir eigentlich nie ausgestellt werden
dürfen.»
Tron erhob sich von
seinem Stuhl. Beim Aufstehen stellte er fest, dass seine Gelenke
steif waren, so als hätte er gerade einen Unfall gehabt.
Wahrscheinlich, dachte er, lag es an den eisigen Temperaturen. Ob
die graue Armeedecke, die auf dem Kavalett lag, warm genug war, um
hier ein wenig Schlaf zu finden? Er stellte fest, dass dieser
Julien Sorelli ihm leid tat und dass seine törichte Eifersucht
offenbar verschwunden war — wenigstens etwas.
«Wir
könnten», sagte Tron, «noch einmal mit Pater
Hieronymus sprechen und ihn zu seinen Kontakten zu Stumm
befragen.»
«Und wenn sich
daraus nichts ergibt?»
«Dann nehmen wir
uns den Zeitpunkt eines der Morde und versuchen herauszufinden, ob
der Oberst dafür ein Alibi hat.»
«Das kann sich
hinziehen.»
«Mehr kann ich
nicht für Sie tun», sagte Tron.
Julien überlegte
einen Moment. Dann sagte er langsam: «Sie könnten sofort
etwas für mich tun, Commissario.»
Seine Augen waren auf
das kleine, vergitterte Zellenfenster gerichtet. Um seine
Mundwinkel zuckte es nervös.
«Und
was?»
Julien sah Tron an,
hob die Schultern und lächelte entschuldigend. «Einen
Blick durch die Gitterstäbe nach draußen werfen.»
Er stieß einen Seufzer aus, griff wieder nach der
Wasserflasche und trank einen Schluck.
«Ich bilde mir
ein», fuhr er dann mit unsicherer Stimme fort, «dass
ich ein Licht in der Seufzerbrücke sehe.» Wieder
lächelte er entschuldigend und trat einen Schritt zur Seite.
Die Wasserflasche behielt er in der Hand. «Sagen Sie mir,
was Sie sehen. Vielleicht werde ich ja
schon verrückt in diesem Eisloch.»
Als Tron an das kleine
Fenster trat, den Kopf hob und durch die Gitterstäbe
hinausblickte, sah er den dunkelgrauen Nachthimmel, darunter den
massigen Block der prigioni nuove, des neuen
Gefängnisses. Wolkenfetzen, vom Mondlicht beleuchtet, trieben
von der Lagune auf die Stadt zu. Tron senkte den Blick, und jetzt
war auch der steinerne Riegel des Ponte dei Sospiri zu erkennen,
die Verbindung zwischen den Kerkern des Dogenpalastes und dem
Gefängnis auf der anderen Seite des Rio del Palazzo. Tron sah
die Wölbung der Seufzerbrücke und darauf die Bogen der
Voluten. Ein Lichtschein hinter den vergitterten Fenstern der
Brücke war nicht zu erkennen.
Die Flasche traf seine
Schläfe, als er sich gerade zurückwenden wollte. Der
Schlag schickte ihm eine Schockwelle durch den Schädel, warf
seinen Kopf ruckartig nach links und ließ Lichtblitze hinter
seinen geschlossenen Augen explodieren. Tron drehte sich halb um
seine Achse, verlor das Gleichgewicht und hatte noch im Fallen,
bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, das Gefühl,
dass er einen Schubs bekam, der ihn relativ sanft auf dem Kavalett
landen ließ.
51
Der
Polizeipräsident schenkte Kaffee in eine Tasse ein und
deponierte großzügig zwei
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