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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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frage ich mich, warum Sie mit Signor
Sorelli reden wollen.»
    «Ich möchte
seine Version der Angelegenheit hören.»
    «Sorelli wird
leugnen.»
    Tron nickte.
«Das denke ich auch. Aber ich würde gerne wissen, mit
welchen Argumenten.»
    Spaur schloss den
Deckel der Pralinenschachtel und warf einen bösen Blick
über den Tisch. «Sie halten den Comte de Chambord immer
noch für den Ausweider?» «Nein», sagte Tron.
«Aber ich bezweifle trotzdem, dass Signor Sorelli die Frauen
getötet hat.»
    «Und wer hat sie Ihrer Meinung
nach getötet?»
    «Bevor ich
darüber nachdenke, würde ich gerne mit Signor Sorelli
sprechen.»
    Spaur lächelte
falsch. «Ich kann mich jederzeit auf dem offiziellen
Dienstweg an den Stadtkommandanten wenden.»
    Da hatte der
Polizeipräsident recht. Aber das würde ein halbes Dutzend
Formulare erfordern, bei deren Ausfertigung man zwei Dutzend Fehler
machten konnte. Und die Kommandantura würde die Anfrage der
Questura vermutlich zur Stellungnahme nach Verona schicken.
Natürlich wusste Spaur das. Er wusste auch, dass Tron es
wusste.
    «Es wird
mindestens zwei Monate dauern, bis Sie eine Antwort
erhalten», sagte Tron. «Signor Sorelli könnte
bereits in den nächsten Tagen nach Verona verlegt
werden.»
    «Dann fahren Sie
ins Hauptquartier nach Verona.»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Ich muss Signor Sorelli noch hier sprechen. Sie
könnten ...»
    Spaur unterbrach Tron,
indem er die Hand hob. «Ich kann gar nichts, Commissario. Der
Fall ist abgeschlossen. Die Questura wird sich nicht mehr mit dem
Ausweider befassen. Als ob wir nicht auch noch anderes zu tun
hätten.»
    «Etwas
Dringendes liegt im Moment nicht an, Baron.»
    «Gar nichts?
Trotz des Karnevals?»
    «Taschendiebe
auf der Piazza, Falschspiel im Café Oriental, ein paar
Schlägereien auf dem Molo und der Verkauf von
anstößigen Fotografien auf der Riva degli
Schiavoni.»
    «Also
Kleinigkeiten», sagte Spaur. «Das ist ein Beleg
für die Effektivität der venezianischen
Polizei.» 
    «Nicht alle
Fälle», sagte Tron, dem plötzlich ein
Einfall gekommen war, «sind
Kleinigkeiten. Es gibt auch einen dokumentierten und durch
Zeugenaussagen bewiesenen Fall von widernatürlicher
Unzucht.»
    Spaurs Augenbrauen
zogen sich entsetzt zusammen. «Sie meinen doch nicht etwa den
Comte de Chambord? Ist das Ihr Ernst?»
    «Wir haben ein
Protokoll der Vernehmung von Signor Lupi», sagte Tron. Er
setzte einen bedauernden Gesichtsausdruck auf. «Und es findet
sich leider immer jemand, der plaudert. Diese Geschichte wäre
ein gefundenes Fressen für die französische
Presse.»
    «Soll das
heißen, dass Sie ...»
    Tron verstärkte
seinen bedauernden Gesichtsausdruck. «Ich weise lediglich auf
die Möglichkeit von Indiskretionen hin.»
    War das deutlich
genug? Sollte er noch die Gefühle schildern, die der Comte
beim Lesen eines entsprechenden Artikels empfinden würde? Und
Vermutungen über die Reaktion der Baronin äußern.
Nein, offenbar war seine Bemerkung deutlich genug
gewesen.
    Spaur stieß den
Seufzer eines Mannes aus, der gezwungen ist, sich einer üblen
Erpressung zu beugen. «Was wollen Sie,
Commissario?»
    «Ein paar Zeilen
an Generalleutnant Nadolny», sagte Tron in neutralem
Geschäftston. «Schreiben Sie, dass Sie für einen
Ihrer Beamten außerhalb des regulären Dienstweges einen
Passierschein brauchen, weil dieser Beamte mit Signor Sorelli
sprechen muss. Es wird niemand von dem Besuch
erfahren.»

50
    «Ich hatte mit
dem Oberst gerechnet, aber nicht mit Ihnen, Commissario»,
sagte Julien knapp sieben Stunden später zu Tron. Er war von
seiner Pritsche aufgesprungen, als sich die Zellentür
geöffnet hatte. «Ich habe den ganzen Tag niemanden
gesehen.»
    Julien stand mit
hochgeschlagenem Mantelkragen direkt unter der Petroleumlampe, die
von der Decke der Zelle hing. Das Licht fiel auf seine von der
Kälte gerötete Nase und ließ den unteren Teil
seines Gesichts wie eine Maske wirken. Im Halbdunkel der Zelle
schienen die Gerüche durchdringender. Es roch säuerlich,
wie nach Erbrochenem.
    Auf dem Weg zu Juliens
Zelle hatte Tron seinen Passierschein dreimal vorzeigen
müssen. Einmal einem Sergeanten am Hofeingang des Traktes,
dann einem gelangweilten Offizier am Ende eines Ganges im
Erdgeschoss und schließlich, im vierten Stock des
Gebäudes, dem Sergeanten, der ihm die Zelle aufgeschlossen
hatte. Es war verabredet worden, dass der Sergeant eine Stunde
später wiederkommen und ihn abholen würde. Bei den
Zellen, hatte Tron festgestellt,

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