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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Genugtuung zu erinnern, als er am Rialto
aus der Gondel gestiegen war. Erstaunlich, dass ihm in der Hitze
des Gefechts keine groben Fehler unterlaufen waren. Aber die
Schnitte, die er gesetzt hatte, waren sicher und routiniert
gewesen. Auch das kurze Gespräch, das er nach getaner Arbeit
am Rialto mit dem Gondoliere geführt hatte, konnte man nicht
anders als kaltblütig bezeichnen. Den blutbefleckten Gehrock
hatte er am nächsten Morgen in einen Kanal geworfen. Selbst
wenn ihn jemand fand und die Polizei ihn mit dem Mord auf der
Gondel in Verbindung brachte, wäre sie keinen Schritt weiter.
Abgesehen davon würde niemand in Venedig einen fast neuen
Gehrock wegen ein paar Flecken zur Polizei bringen.
    Er wandte sich zum
Tresen, um noch einen Schluck von dem kalten Prosecco zu trinken,
als sich plötzlich eine Hand auf seinen Ärmel legte.
Erschrocken fuhr er auf dem Absatz herum. Was er sah, brachte sein
Herz zum Klopfen. Zugleich spürte er, wie das Tier in ihm
erwachte.
    *
    Als sie ihm ihre Hand
auf den Ärmel legte, wusste sie genau, was sie tat, denn sie
hatte ihn vorher lange beobachtet. Er würde zuerst
erschrecken, aber einen Augenblick später würde er die
Berührung als angenehm empfinden, als aufreizend. Schließlich war
er genau deswegen hierhergekommen. Und so wie er aussah,
überlegte er schon die ganze Zeit, wie er eine Frau ansprechen
sollte. Er wirkte nicht wie jemand, dem es leichtfiel, auch wenn es
sich um eine Frau handelte, deren Geschäft darin bestand,
angesprochen zu werden. Wandte man sich ihm zu — sie hatte es
beobachtet drehte er den Kopf weg und wurde rot. Ein armes
Würstchen, das sich nach ein paar Stunden frustriert entfernen
würde, wenn man ihm nicht ein wenig behilflich war.
    Julia Dossi hatte
gelernt, ihre Kunden in zwei Kategorien einzuteilen: in Adler und
Hühnchen. Die Adler kriegten den Hals nie voll und feilschten
wie auf dem Fischmarkt. Sie verlangten alle möglichen Extras
und wurden wütend, wenn sie dafür bezahlen sollten.
Hühnchen hingegen feilschten nicht und kämen nie auf den
Gedanken, Extras zu verlangen. Viele trauten sich auch nicht, wenn es zur Sache
kam, und waren schon zufrieden, wenn sie jemandem ihr Herz
ausschütten konnten. Und hier handelte es sich definitiv um
ein Hühnchen.
    Das Hühnchen war
ihr aufgefallen, weil es kurz hinter ihr über die Schwelle des
Ballsaals getreten war und lange am Eingang verharrt hatte. Nachdem
es den Saal mit verstörten Augen gemustert hatte, war es mit
zaghaften Schritten zum Getränkeausschank getrippelt. Dort
stand das Hühnchen nun, drehte ein Glas in der Hand und kam
sich mit seinem schwarzen Dreispitz aus Pappe vermutlich genauso
albern vor, wie es aussah. Wahrscheinlich, dachte sie, handelte es
sich bei dem Hühnchen um einen Familienvater aus der Provinz,
der sich gerade fragte, ob er dem Abenteuer hier gewachsen war. Das
war offenkundig nicht der Fall, aber sie könnte ihm behilflich
sein. Und wenn sie sich nicht täuschte, würde er sich als
großzügig erweisen.
    Wenn sie sich nicht
täuschte — genau das war der
springende Punkt. Denn Menschenkenntnis war zurzeit
überlebenswichtig in dieser Branche. Zwar kannte sie keine
Einzelheiten der Geschichte, die sich gestern auf einer Gondel
ereignet hatte, aber was sie wusste, reichte ihr. Dass der
Gondoliere nichts bemerkt hatte, war unglaublich. Ebenso
unglaublich war, dass die Frau die Gefahr, in der sie schwebte,
offenbar nicht gespürt hatte. Sie selbst war fest davon
überzeugt, dass das Böse eine Aura hatte, einen
üblen Geruch. Und dass die Nagelprobe ein Blick in die Augen
war. Als das Hühnchen herumfuhr und sie in seine unschuldigen
braunen Augen sah, hätte sie fast aufgelacht. Sie hatte es mit
einem Küken zu tun.     
    *
    Er hatte am Arsenal
eine Gondel genommen, saß jetzt zurückgelehnt in den
Polstern und lauschte auf das leise Knirschen, mit der sich das
Ruder in der forcola bewegte. Diesmal war der felze nicht diskret
verschlossen worden, sondern blieb auf seinen Wunsch zur Seite hin
geöffnet. Die Luft war schwer und feucht, aber durchsichtig
genug, um die Häuser zu erkennen, die sich als schwarze Masse
von dem schiefergrauen Nachthimmel abhoben. Als sie das Danieli
passiert hatten und sich dem Molo näherten, stellte er fest,
dass die Piazzetta, festlich gesäumt von den Girlanden der
Gaslaternen, immer noch voller Menschen war. Aus einem der Cafes am
Markusplatz wehte Musik herüber, eine beschwingte
Walzermelodie, die gut zu der gehobenen

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