Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Julien
Sorelli, dem Neffen der Principessa», sagte die Contessa.
«Wenn ich es richtig verstanden habe, hatten die beiden eine
äußerst lebhafte Korrespondenz.» Sie spießte
ein Stückchen Hühnerfleisch auf ihre Gabel.
«Merkwürdig, dass sie
das dir gegenüber nicht erwähnt
hat.»
«Ich wusste gar
nicht, dass Maria einen Neffen hat.»
«Er ist der
Neffe ihres verstorbenen Mannes, des Fürsten von Montalcino.
Dessen Schwester hat in Paris einen Italiener
geheiratet.»
«Einen Signor
Sorelli.»
«So ist es. Und
Julien ist der Sohn der beiden.»
«Und was macht
er hier in Venedig?»
Die Contessa sah Tron
bedeutungsvoll an. «Julien ist der neue Privatsekretär
des Comte de Chambord.»
Tron hob
überrascht die Augenbrauen. Der Comte de Chambord, Herzog von
Bordeaux und nach der Abdankung seines Großvaters im August
1830 der Erbe des französischen Throns, hatte seinen Anspruch
auf die Königskrone nie aufgegeben. Man wusste, dass er vom
venezianischen Exil aus um seinen Thron kämpfte — mit
der Unterstützung royalistischer Fanatiker, die sich in einer
geheimen Gesellschaft, der Ligue
Fédérale, organisiert hatten.
«Arbeitet dieser
Julien für die Ligue
Fédérale?»
«Die Ligue ist eine
Geheimgesellschaft, Alvise. Niemand, der für die Liga
arbeitet, redet darüber.»
Tron hielt es für
besser, das Thema zu wechseln. «Ich nehme an, der Comte de
Chambord steht wieder auf deiner Liste.»
Die Contessa nickte.
«Er hat bereits zugesagt. Was ich als Ehre betrachte, denn er
macht sich gesellschaftlich rar. Maskenbälle zu besuchen ist
nicht sein Stil.»
«Dein Maskenball
ist etwas ganz Besonderes.»
Die Contessa
lächelte. «Die Gästeliste kann sich jedenfalls
sehen lassen», sagte sie. Und dann ohne Pause weiter:
«Der Ball wäre eine gute Gelegenheit, eure Hochzeit
anzukündigen.»
Tron hätte
beinahe den Löffel in die Fischsuppe fallen lassen. «Wie
bitte? Was anzukündigen?»
«Eure Hochzeit,
Alvise. Diese Dauerverlobung ist kein Zustand.»
«Stammt die Idee
von dir oder von der Principessa?»
«Sie hegt auf
der Hand. Es ist nie auszuschließen, dass irgendjemand in ihr
Leben tritt, der ...»
«Der
was?»
Die Contessa
überlegte einen Moment. «Jemand, der sie beeindruckt.
Jemand von Familie. Der seinerseits von der Principessa beeindruckt
ist.»
«Es gibt keinen
Mann, der von der Principessa nicht beeindruckt ist.»
«Was dich eines
Tages in Schwierigkeiten bringen könnte. Wann siehst du die
Principessa?»
«Morgen
Abend», sagte Tron.
«Dann solltest
du über das, was ich dir eben mitgeteilt habe,
nachdenken.»
Tron kam
plötzlich ein Verdacht. «Hat dieser Julien Sorelli etwas
mit deinem Vorschlag zu tun?»
Der zerstreute Blick,
den die Contessa über den Tisch warf, war täuschend echt.
«Nun, jetzt wo du es sagst ...» Die Contessa setzte
eine nachdenkliche Miene auf. «Ich finde es jedenfalls
merkwürdig, dass die Principessa diesen jungen Mann nie
erwähnt hat.» Ihr Mund verzog sich zu einem winzigen
Lächeln, das schnell wieder erstarb. «Man könnte
fast auf den Gedanken kommen, sie hätte einen Grund, nicht
darüber zu reden.»
Tron hatte es
aufgegeben, so zu tun, als würde er essen.
«Wahrscheinlich», sagte er, «hielt sie es
für unwichtig. Ebenso unwichtig wie den Umstand, dass dieser
Bursche jetzt in Venedig ist. Ich frage mich, warum du so darauf
herumreitest.»
Die Antwort der
Contessa kam sofort. «Weil ich ein ungutes Gefühl
habe.» Sie wandte sich wieder dem Hühnerfleisch zu,
spießte ein weiteres Stück davon auf, kaute und
schluckte es hinunter. Dabei machte sie ein Gesicht, als würde
sie Asche essen.
5
«Nicht
schlecht», sagte Signor Zulani und rülpste.
Ein wenig Fett tropfte
von seinem Schnurrbart herab, lief über seine wulstige
Unterlippe und vermischte sich, weiter herabtropfend, mit den
Krümeln der Bratkartoffeln, die sich in seinem Bart verfangen
hatten. So genau war dies allerdings nicht zu erkennen, denn
anstelle der teuren Petroleumlampen gab es im Hause Zulani
lediglich billige Rüböllampen. Eine davon hing an der
niedrigen Decke, die andere stand auf dem Küchentisch, und
beide warfen einen trüben Lichtschein auf den Herrn des
Hauses, die abgedeckte Pfanne und die dampfende fegato alla
veneziana auf dem Tisch.
«Nicht
schlecht», wiederholte Signor Zulani, indem er eine weitere
Gabel zum Mund führte und anerkennend grunzte.
Bella Zulani, die
Gattin von Signor Zulani, deren Äußeres immer schon in
krassem
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