Conan-Saga 05 - Conan und der Spinnengott
zurückgelassen hatte. Hätte er sie mit dem Rest seiner Habe eingepackt und hätten die Soldaten sie entdeckt, wäre sein Schwindel schnell aufgedeckt worden.
»Weshalb willst du Turan verlassen? Du bist wohl ein Fahnenflüchtiger, eh?«
»Nein. Ich reichte um Urlaub ein, weil ich erfuhr, daß meine Mutter erkrankt ist. Ich reite zu ihr nach Hause und werde in drei Monaten meinen Dienst wieder aufnehmen. Schickt einen Kurier zu Hauptmann Shendin, wenn Ihr mir nicht glaubt.«
»Weshalb hast du dann einen Bogen um das Wachhaus gemacht?«
»Um keine Zeit mit der Beantwortung dummer Fragen zu vergeuden«, knirschte Conan zwischen den Zähnen.
Grimm färbte das Gesicht des Hauptmanns rot. Als er sich eine Erwiderung überlegte, meldete der Leutnant sich wieder zu Wort. »Ich glaube nicht, daß dieser Mann der Renegat Conan ist, Hauptmann, obgleich die Beschreibung in etwa auf ihn paßt. Erstens hat er des Königs Lady nicht bei sich. Zweitens versucht er nicht, uns schön zu tun oder uns zu beschwichtigen, wie es ein schuldbewußter Flüchtiger zweifellos täte. Und außerdem soll dieser Conan so scharfe Sinne und eine so gewaltige Kraft haben, daß wir ihn nicht lebend hätten überwältigen können.«
Der Hauptmann grübelte kurz darüber nach, dann sagte er: »Ihr scheint mir recht zu haben. Trotzdem habe ich immer noch gute Lust, ihn seiner Unverschämtheit wegen und weil er uns unnötigerweise Schwierigkeiten machte, auspeitschen zu lassen.«
»Sir, ich bitte Euch, die Männer sind müde. Und wenn er tatsächlich ein Soldat auf Urlaub ist, was ja ohne weiteres sein kann, ergrimmen wir möglicherweise den Befehlshaber seiner Einheit.«
Der Hauptmann seufzte. »Nehmt ihm die Fesseln ab. Aber ich warne Euch, Nial, wenn Ihr uns noch einmal so an der Nase herumführt, kommt Ihr nicht so glimpflich davon. Ihr könnt Euch ohnedies glücklich zählen, daß Ihr so ungeschoren davongekommen seid. Ihr dürft gehen.«
Brummig bedankte sich Conan, nahm dem Soldaten, der ihn hielt, seinen Säbel ab und schritt zur Tür. Er zwängte sich durch die Soldaten hindurch, als ein weiterer Leutnant im Korridor vor ihm auftauchte. Seine Augen weiteten sich.
»Hallo, Conan!« rief der Neuankömmling hörbar erfreut. »Was machst du denn hier? He, erinnerst du dich denn nicht mehr an Khusro, deinen alten ...«
Conan handelte instinktiv. Er senkte den Kopf wie ein Stier und stieß den Leutnant so heftig zur Seite, daß der gegen die Wand krachte und auf den Boden sackte. Conan sprang über ihn hinweg und schoß in die Nacht hinaus.
Ymir war an einen Pflock am Blockhaus gebunden. Ohne sich die Zeit zu nehmen, Säbel oder Dolch zu ziehen, zerriß er den kräftigen Lederzügel mit einem heftigen Ruck, schwang sich in den Sattel und drückte dem Pferd die Fersen in die Weichen.
Bis die durcheinanderbrüllenden Soldaten, die sich an der Tür fast verkeilten, aus dem Blockhaus quollen, um zur Pferdekoppel zu laufen, ihre Tiere zu satteln und die Verfolgung aufzunehmen, war der Cimmerier im Sternenschein nur noch ein Punkt in der Ferne. Kaum verbarg eine Bodenwelle ihn vor der Sicht der Verfolger, galoppierte er im rechten Winkel zum schmalen Weg davon. Ehe die Sonne sich über den ebenen Osthorizont hob, hatte er seine Verfolger abgeschüttelt.
Auf Zamorianisch bedeutete das Wort »Keule« das ärmlichste und verrufenste Viertel einer Stadt. Jede der beiden großen zamorianischen Städte – Shadizar und Arenjun – hatte ihre Keule, ja selbst einige der kleinen Städte waren davon nicht verschont. Die Keule war ein Stadtteil schlimmster Armut, mit heruntergekommenen, ja baufälligen Häusern; eine Gegend, in der Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat, von der Welt vergessen, sich zurückziehen; in der Neuankömmlinge, frisch vom Land, die verzweifelt versuchen, in der Stadt Fuß zu fassen, sich einnisten; ein Unterschlupf und eine Zuflucht für Diebe und andere Gesetzlose, die sich gleichermaßen an den Wohlhabenden außerhalb der Keule und den Armen in ihr bereichern; sie war auch der richtige Ort für Hehler und ein Lager für Diebesgut.
Der Gestank der winkligen Gassen der Shadizarer Keule erweckte in Conan lebhafte Erinnerungen an seine Zeit als Dieb in Zamora. Obgleich er sich während der letzten zwei Jahre dem Soldatenleben angepaßt hatte, wurde nun die alte ungezwungene Gesetzlosigkeit in seinem Blut wieder wach. Er empfand eine nostalgische Sehnsucht nach den Tagen, da er keinen Vorgesetzten über sich gehabt
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