Conan-Saga 08 - Conan der Pirat
gespenstisch wirkte, und stiegen eine Treppe hinunter. Bei jedem Schatten in ihren verborgenen Winkeln zuckte Yasmela zusammen. Drei Stockwerke tiefer hielten sie schließlich in einem schmalen Gang inne. Seine gewölbte Decke war mit Edelsteinen besetzt, der Boden aus Kristallblöcken zusammengefügt, und die Wände waren mit goldenen Friesen verziert. Diesen prächtigen Korridor rannten sie, einander an der Hand haltend, hinunter zu einem breiten vergoldeten Portal.
Vateesa stieß die Tür auf. Ein Altar lag vor ihnen, der unbesucht blieb, außer von ein paar Getreuen und königlichen Gästen des khorajanischen Hofes, für die dieser Schrein überhaupt noch erhalten wurde. Yasmela war nie zuvor hierhergekommen, obgleich sie im Palast das Licht der Welt erblickt hatte. Im Vergleich mit den prunkvollen Ischtaraltären wirkte er einfach in seiner ungekünstelten Würde, die für die Mitrareligion charakteristisch war.
Die Decke war hoch, doch nicht gewölbt, und bestand aus unverziertem weißen Marmor, genau wie die Wände und der Boden, doch wurden letztere durch ein goldenes Fries ringsum aufgelockert. Hinter dem Altar aus klarem grünen Jade, der unbefleckt von Opferblut war, stand das Podest, und darauf saß das weltliche Abbild der Gottheit. Mit ehrfürchtig geweiteten Augen betrachtete Yasmela die mächtigen Schultern, die feingeschnittenen Züge, die gütig wirkenden Augen, den patriarchalischen Bart, die üppigen Locken, die von einem einfachen Band um die Schläfen gehalten wurden. Das war, obgleich Yasmela es nicht wußte, Kunst in ihrer höchsten Vollendung – der freie, unverfälschte Ausdruck einer zutiefst ästhetischen Rasse, die frei von konventionellem Symbolismus war.
Die Prinzessin fiel vor dieser Statue auf die Knie und drückte schließlich, trotz Vateesas Einwände, die Stirn auf den kalten Marmorboden. Vorsichtshalber folgte die Ophitin dann aber doch dem Beispiel, denn man konnte ja nie wissen, schließlich war sie nur ein junges Mädchen, und dieser Schrein erfüllte sie mit tiefer Ehrfurcht. Allerdings konnte sie nicht umhin, Yasmela ins Ohr zu flüstern:
»Das ist nur ein Idol. Niemand maßt sich an, zu wissen, wie Mitra wirklich aussieht. So stellte man ihn in idealisierter Menschengestalt dar, der Vollkommenheit so nah, wie Menschengeist sie auszudrücken vermag. Mitra wohnt nicht in kaltem Stein, wie eure Priester es auch glauben machen wollen, daß Ischtar es tut. Er ist überall – über uns, um uns, und manchmal träumt er hoch dort oben zwischen den Sternen. Doch hierher wendet er oft den Blick. Darum ruft ihn jetzt an.«
»Was soll ich sagen?« wisperte Yasmela angstvoll.
»Noch ehe Ihr überhaupt den Mund zu öffnen vermögt, kennt Mitra bereits Eure Gedanken ...«, begann Vateesa, und zuckte genau wie Yasmela furchtsam zusammen, als eine Stimme in der Luft über ihnen erschallte. Die tiefe, ruhige, an Glocken erinnernde Stimme kam weder aus dem steinernen Abbild, noch von sonstwo her in dem Altarraum. Wieder erbebte die Prinzessin unter einer körperlosen Stimme, die zu ihr sprach, doch diesmal nicht vor Grauen oder Abscheu.
»Sprich nicht, meine Tochter, denn ich lese in deiner Seele!« Die Stimme klang musikalisch wie sanfte Wogen, die rhythmisch über einen goldenen Strand spülten. »Es gibt einen Weg, dein Königreich und mit ihm die ganze Welt vor den Fängen der Schlange zu retten, die aus der Finsternis alter Zeit gekrochen kommt. Geh allein hinaus auf die Straße und lege das Geschick deines Königreichs in die Hände des ersten Mannes, dem du begegnest!«
Die echolose Stimme verstummte. Die beiden Mädchen starrten einander an. Schweigend erhoben sie sich und stahlen sich davon, und sie sprachen auch nicht, bis sie wieder in Yasmelas Schlafgemach zurück waren. Die Prinzessin blickte aus dem goldvergitterten Fenster. Der Mond war bereits untergegangen, es war lange nach Mitternacht. Die fröhlich Feiernden hatten sich aus den Gärten und von den Dächern zurückgezogen. Khoraja schlummerte unter den Sternen, mit denen die Pechschalen in Gärten, Straßen und auf den flachen Dächern der Häuser, in denen die Menschen schliefen, zu wetteifern suchten.
»Was wollt Ihr tun?« fragte Vateesa zitternd.
»Bring mir einen Umhang!« bat die Prinzessin.
»Aber allein auf der Straße, und zu dieser Stunde!« rief Vateesa.
»Mitra hat gesprochen«, erwiderte Yasmela. »Ob es nun die Stimme eines Gottes gewesen ist, oder der Trick eines Priesters, ich werde
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