Conan-Saga 45 - Conan der Grosse
Die Stimme des Fremden war voll und sehr tief. Sie war so durchdringend wie das schrille Knarzen der Türangeln, aber irgendwie glatter als das rostige Metall, wenn es gegeneinander gerieben wurde. »Nicht vom Tod bringe ich dir eine Botschaft, sondern über eine freudenreiche Geburt.«
»Was meinst du?« Bei dem unheimlichen Klang der Stimme des Besuchers war Yasmela unwillkürlich zum Fenster zurückgewichen. Jetzt stand sie neben ihrer Frisierkommode, wo neben Kämmen, Bürsten, einem Spiegel und Schminktöpfen auch ein langer gerader Dolch lag. »Du gehörst nicht zur Wachmannschaft«, sagte sie. »Du bist auch kein Kurier! Wenn du nicht auf der Stelle mein Schlafgemach verläßt, schreie ich! Ich warne dich. Ich kann sehr laut schreien.«
»Schrei nur!« höhnte der Fremde mit der seltsamen tiefen Stimme. »Was wäre passender als die Schreie einer Frau, um eine große, glorreiche Geburt zu begleiten?« Der Fremde lachte kurz. »Ich spreche von deiner eigenen Geburt, edle Dame. Du bist auserkoren, die Gunst und den Schutz eines allwissenden Gottes zu genießen, der beschlossen hat, seinen früheren Sitz der Macht hier auf der Erde wieder zu besteigen ...«
Yasmela holte tief Luft, um einen möglichst lauten Schrei ausstoßen zu können. Doch dann geschah etwas, das ihr die Angst die Kehle so zuschnürte, daß der Schrei darin stecken blieb. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickte sie auf den Eindringling, der fast noch auf der Türschwelle stand. Die weiten Ärmel des Kapuzengewands bewegten sich. Glänzende schwarze Knochenarme mit Klauen an den Enden streckten sich nach ihr aus, wurden unvorstellbar schnell immer länger und länger, bis sie die Prinzregentin am anderen Ende des Gemachs fast erreicht hatten.
Yasmela wußte, daß der Besucher kein Sterblicher sein konnte, kein Wesen von dieser Erde. Sie spürte mehr als nur Angst vor der Berührung der Skelettfinger. Sie fühlte eine eiskalte Bedrohung für ihre Seele. Instinktiv wich sie im letzten Augenblick den Klauen aus. Sie stand jetzt mit dem Rücken gegen den Vorhang und spürte, wie die Bleiverglasungen der Fensterscheiben nachgaben ... dann umwehte sie die kalte Nachtluft. Die dunkle Bedrohung griff mit den Klauen über sie hinweg ins Nichts. Jetzt endlich löste sich der Schrei aus ihrer Kehle, und sie spürte, wie sich ihre Seele freudejauchzend frei nach oben schwang. Doch ihr Körper schlug auf die harten Pflastersteine neben dem Wehrturm und blieb zerschmettert reglos liegen.
K APITEL 14
Heil dem Mächtigen
»Delvyn, stimm ein Lied an!« befahl König Conan von seinem gestohlenen Thron aus. »Es ist beinahe Nacht, und unser Gast ist von der Reise ermüdet. Wir müssen mit unseren Darbietungen früh anfangen.«
Es war kein richtiger Thron, auf dem der König saß, sondern ein vergoldeter Armstuhl mit hoher Lehne, der Sitz des Ersten Bürgermeisters von Numalia. Conan saß schief darauf. Ein Bein mit dem hohen Stiefel hatte er über die Armlehne gelegt. Die zwölfzackige Krone hatte er verwegen in die Stirn gezogen. In diesem Moment war er die Verkörperung eines rauflustigen barbarischen Eroberers.
In der großen Ratshalle vor ihm herrschte ein furchtbares Durcheinander. Tische, Bänke und Stühle standen kreuz und quer oder waren umgeworfen. In der Mitte des Raums waren noch die Reste eines Lagerfeuers auf dem herrlichen Mosaikboden zu sehen. Knochen, Weinflaschen und anderer Abfall lagen überall herum und zeugten von dem zweitägigen Gelage nach der Plünderung. Am bemerkenswertesten war die schwere Bronzetür, die ins Amtszimmer des Bürgermeisters führte. Sie war aus den Angeln gebrochen und lag flach auf dem Boden. Dabei waren auch mehrere Steine aus dem Türstock gebrochen und waren ebenfalls verstreut. Jetzt konnte man durch die Öffnung hinaus in den Innenhof blicken, und zur Bresche in der einst so mächtigen Stadtmauer.
Dahinter färbte der Sonnenuntergang den westlichen Himmel blutrot. Rauchwolken stiegen von den Feuern in der Stadt auf und zeichneten sich schwarz gegen den lodernden Himmel ab. Aasgeier zogen gierig ihre Kreise.
Der Zwerg Delvyn saß im Schneidersitz auf dem breiten Sims des riesigen Kamins, in dem allerdings kein Feuer brannte. Auf den Befehl des Königs hin zupfte er an den Saiten und probierte allerlei Melodien. Die Begeisterung der aquilonischen und nemedischen Offiziere in der Halle hielt sich sehr in Grenzen. Keiner schenkte dem Zwerg viel Aufmerksamkeit. Auch der Besucher, von dem
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