Conan-Saga 54 - Conan der Gnadenlose
Schlange, war aber länger als jede Schlange, die Chienna je gesehen hatte.
Ein zweites sich windendes Etwas erschien, dann ein drittes und gleich darauf so viele und diese so schnell, dass man sie nicht mehr zu zählen vermochte. Es folgte ein Leib, den die menschliche Zunge nicht beschreiben konnte. Er schob sich die senkrechte Felswand über dem Damm hinauf. Wasser strömte dabei von ihm herab und er gab Laute von sich, die ebenfalls unbeschreiblich waren.
Prinz Urras spürte die Angst seiner Mutter durch ihren beschleunigten Herzschlag und schrie noch lauter. Die Prinzessin gab um des Söhnleins willen ihre Würde auf und setzte sich. Sie wiegte und liebkoste es, doch nichts vermochte das Kind zu beruhigen.
Doch noch war nicht alles verloren. Sie wagte nicht, die Augen zu schließen, um den Anblick auf dem Felsgipfel zu verdrängen, der einem Drachenkopf glich. Sie wusste, wenn sie das tat, bedeutete es Bestrafung, und eine solche Bestrafung kostete sie Kraft, die sie vielleicht später brauchte.
Zum Glück musste sie die Schreie der Opfer nicht hören, da das laute Jammern ihres Söhnleins diese übertönte.
Wylla hörte das Schreien des Opfers auf ihrem Sitz, einem Ast hoch oben im Tal. Wieder dankte sie den Göttern, dass sie niemandem von diesem toten Baum und dem Ausblick, den er gewährte, erzählt hatte. Sie konnte so viel sehen, ohne selbst gesehen zu werden.
Eines Tages würde ein starker Wind den Baum entwurzeln, und dann würde sie sich einen neuen Aussichtspunkt suchen, um die Magier auszuspionieren. Bis zu diesem Tag wollte sie diesen Hochsitz benutzen, ohne dass es jemand im Dorf wusste, nicht einmal ihr Vater.
Sie wartete, bis das letzte Stück des Ungeheuers in den Nebelschwaden verschwunden war, die sich über der Schlucht sammelten. Dieser Nebel schien stets nach einer Fütterung des Scheusals aufzukommen. Gehörte er zu der Sternenmagie der Brüder?
Sie wusste es nicht. Sie war nicht einmal sicher, dass die Frau und das kleine Kind Prinzessin Chienna und ihr Sohn waren. Sie wusste nur, dass sie die Botschaft über das, was sie gesehen hatte, so schnell wie möglich aus dem Tal heraus zu Marr dem Pfeifer bringen musste, der darauf wartete.
Weit musste sie nicht laufen. Heute Abend waren die Pfeifen nicht erklungen, doch der Donner und das Durcheinander bei den Waffen bezeugten, dass Marr nicht weit entfernt war.
Wylla trug den Umhang eines Kriegers, darunter das lose Gewand der Pougoi-Frauen und Lederschuhe mit festen Sohlen. Auf die Schuhe hatte sie bunte Steine aus den Bergflüssen genäht. Sie warf den Umhang ab und zog das Gewand über den Kopf.
Unter dem Gewand trug sie einen Gürtel aus Vogelleder, in dem ein Dolch mit kunstvoll gearbeitetem Griff aus Mammutelfenbein steckte. Das Sternenlicht umflutete weich ihren Körper, als sie einen Augenblick lang nackt dastand.
Sie band sich den Umhang um die Hüften, kniete nieder und holte mehrmals tief Luft, wie Marr sie gelehrt hatte. Sie spürte, wie die Lebenskraft so heftig in sie hineinströmte, dass ihr Blut kribbelte.
Als sie das Gefühl hatte, ihre Gliedmaßen würden in einem Feuer brennen, sprang sie ab und rannte los.
Durch die Dunkelheit ertönten aus weiter Ferne sanft die Pfeifen.
K APITEL 6
Fast zum Zeitpunkt, als Wylla Marr den Pfeifer traf, lernte Conan König Eloikas' Palastgarde kennen.
Die Karawane und Decius' Männer hatten für die Nacht ihr Lager ungefähr zwei Bogenschüsse entfernt errichtet, jenseits eines kleinen Dorfs, im Schutz eines dicht bewaldeten Höhenzugs. Das Dorf war bewohnt, aber kaum weniger zerstört als Dembi, wo sie zwei Tage zuvor gekämpft hatten.
Die verdrießlichen Mienen der Dorfbewohner hätten genügt, Conan von den langen Jahren mühseligen Lebens zu erzählen, hätten dies nicht bereits die primitiven Hütten und die ärmliche Bekleidung getan. Mehr als ein paar Hühner und gemahlene Gerste konnte Decius mit seinen Münzen nicht von ihnen erwerben.
Wenn das die übliche Lebensweise der Bewohner im Grenzreich war, würde Conan nicht viel Gewinn herausschlagen. Das war ihm hier klar. König Eloikas' Dankbarkeit fütterte keine Pferde und brachte keine Rüstung zum Glänzen. Dazu brauchte man Gold, etwas, das dieses Grenzreich offenbar nicht zu bieten hatte.
Sei's drum! Ehre band ihn an Rainhas Seite so lange, wie sie ihn brauchte. Er fände schon einen anderen Weg, um seine Börse zu füllen. Wenn nicht, würde er sein Glück in Nemedien mit leeren Taschen
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