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Cool Hunter

Cool Hunter

Titel: Cool Hunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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kombiniert ließen diese aus praktischen Gründen entstandenen Trends den Typen aussehen, als wäre er von den Strahlen einer Schrumpfkanone getroffen worden und würde gleich mit immer leiser werdender Stimme » Hilfe! « schreiend in seinen Klamotten ertrinken.
    Jen musste grinsen.
    Und wieder hatte ich die Kurve gekriegt.
    »Dieser Typ braucht unsere Hilfe«, raunte ich ihr leise zu.
    »Okay, der Typ wird niemals cool sein. Aber es gibt eine Menge Leute, die sich an seinen unermüdlichen Versuchen, es zu sein, eine goldene Nase verdienen. Das ist sein Geld, das wir gestern von Mandy bekommen haben.«
    Ich seufzte, sah zu dem schmalen Streifen Himmel über uns auf und bemerkte die vielen verblichenen, zerschlissenen amerikanischen Flaggen, die an den Feuertreppen hingen und sanft im Wind flatterten. Sie waren alle an einem ganz bestimmten Septembertag spontan rausgehängt worden, ohne dass irgendjemand eine Anzeige geschaltet hätte, in der dazu aufgefordert worden wäre.
    Jen sah mich stumm an und dachte wahrscheinlich, ich wäre sauer auf sie.
    Dabei war ich das gar nicht. Ich dachte an das Jahr 1918.

    Von meinem Vater weiß ich, dass 1918 eine verheerende Grippeepidemie wütete, die weltweit mehr Todesopfer forderte als der Erste Weltkrieg. Insgesamt erkrankten eine Milliarde Menschen, was fast ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung war.
    Das Virus verbreitete sich weder übers Radio noch darüber, dass man Fernsehen schaute oder Werbung auf Bussen las. Und es wurde auch niemand angeheuert, um es zu verbreiten. Um an der Grippe zu erkranken, musste man lediglich jemandem, der das Virus in sich trug, die Hand schütteln oder von ihm angeniest werden. Das heißt, dass innerhalb eines einzigen Jahres fast jeder Mensch auf der Welt jemandem die Hand geschüttelt hatte, der jemandem die Hand geschüttelt hatte, der »Patient Null« die Hand geschüttelt hatte (so nennt man die Innovatoren in der verrückten Welt der Epidemiologie).
    Man muss sich mal vorstellen, was passiert wäre, wenn all diese Leute, statt Viren zu niesen, zueinander gesagt hätten: »Wow, diese neuen Minzdrops schmecken echt gut! Willst du auch einen?« In nur einem Jahr hätten ungefähr eine Milliarde Menschen die neuen Minzdrops probiert, ohne dass auch nur ein Cent für Werbung ausgegeben worden wäre.
    Da kann man schon ins Grübeln kommen.
     
    Während sich ein unbehagliches Schweigen zwischen uns ausbreitete, wurde mir klar, dass ich eigentlich auf meine Eltern sauer war. Wenn sie mich beim Frühstück nicht wieder wegen meines Jobs aufgezogen hätten, hätte ich Jen gegenüber eben nicht so uncool reagiert. Ihr Kommentar war absolut berechtigt gewesen – ich war es nur leid, Tag für Tag dieselbe Unterhaltung
führen zu müssen, mit meinen Eltern, mit anderen Leuten und mit mir selbst.
    Ich suchte krampfhaft nach etwas, das ich hätte sagen können, aber außer der Grippeepidemie von 1918 wollte mir einfach nichts einfallen. Und eine Grippeepidemie zählt nicht gerade zu den prickelndsten Gesprächsthemen.
    Manchmal hasse ich mein Gehirn.
    Irgendwann brach Jen das Schweigen.
    »Vielleicht kommt sie ja gar nicht.«
    Ich warf einen Blick auf mein Handy. Mandy war zehn Minuten überfällig, was sonst nicht ihre Art war. Wir reden hier immerhin von einer Frau, die ständig ein Klemmbrett mit sich herumschleppt. Jen guckte in Richtung der nächsten U-Bahn-Station, und mich beschlich das ungute Gefühl, dass sie womöglich darüber nachdachte zu gehen.
    »Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, aber ich versuch mal sie zu erreichen.« Ich scrollte mich bis shugrrl durch und tippte im Display auf ihren Namen. Sechs Rufzeichen später meldete sich ihre Mailbox.
    »Wahrscheinlich ist sie in der U-Bahn …« Ich wollte gerade eine Nachricht hinterlassen, als Jen mich am Handgelenk packte.
    »Leg auf und ruf sie noch mal an.«
    »Was?«
    »Moment noch.« Sie wartete, bis ein LKW an uns vorbeigedonnert war, und nickte dann. »Jetzt.«
    »Okay.« Ich zuckte die Achseln – bei Innovatoren muss man auf schräge Ideen gefasst sein – und tippte Mandys Namen noch einmal an.
    Jen neigte den Kopf leicht und ging ein paar Schritte auf die
mit Brettern verrammelte Fassade des baufälligen Gebäudes zu, vor dem wir standen. Sie legte beide Hände an das Holz und presste ein Ohr dagegen, als würde sie die Graffiti und Werbeplakate auf den Brettern nach einer Botschaft aus einer anderen Welt abhorchen.
    Es klingelte wieder sechsmal.
    »Äh … hi,

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