Coole Geschichten für clevere Leser
Attraktivität verlieh. »Na, du alter Gauner«, sagte er. »Du willst es also wirklich wagen. Mit meiner Sprechstundenhilfe!«
»Du kannst nicht behaupten, daß ich überstürzt handle«, antwortete Hazletine. »Achtzehn Jahre bin ich jetzt Witwer, Joel, das ist eine lange Zeit.«
»Ich verstehe es trotzdem nicht«, sagte Joel mit humorvoll blitzenden Augen. »Nika ist zu gut für dich. Sie ist jünger, sieht besser aus, ist klüger …«
»Du weißt ja, wie die Frauen so sind«, sagte Hazletine lächelnd. »Sie meinen, ein Arzt ist ein guter Fang, selbst ein alter Knacker wie ich.« Er nahm sich eine Zigarette, hielt sie aber schuldbewußt in der Hand. »Erst die fünfte heute.«
»Ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als mir Nika vorhin die große Eröffnung machte. Ich meine, wenn man ein gewisses Alter erreicht, rechnet man nicht mehr damit, daß unverheiratete Freunde noch in den Ehehafen einfahren. Wie sieht es aus, Charlie? Spielst du schon lange mit dem Gedanken, oder ist es einfach – passiert?«
»Ach, schnell gegangen ist es schon. Wir waren gestern abend zusammen essen, und ich weiß nicht recht, vielleicht habe ich einen zuviel getrunken, vielleicht waren es auch die Kerzen auf dem Tisch, als ich jedenfalls so richtig zu mir kam …«
»… da zappeltest du schon an der Angel.«
Hazletine lachte. Dann warf er einen ernsten Blick auf die Zigarette in seiner Hand, drückte sie aus und blies eine Rauchwolke über Joels Schreibunterlage.
»Ich will ganz offen sein, Joel. Eine Zeitlang war ich mir wegen Nika nicht so sicher.«
»Sicher?«
Die Zigarette war erloschen, doch Hazletine hätte sich am liebsten eine neue angezündet. Er kämpfte einen Augenblick mit der Versuchung, siegte und lehnte sich seufzend zurück.
»Sie arbeitet erst seit einigen Monaten für dich. Ich aber kenne sie schon gut fünf Jahre. Du weißt, daß sie schon einmal verheiratet war?«
»Ja. Mehrmals sogar.«
»Dreimal«, sagte Hazletine. »Ihr erster Mann war Sam Cernak, erinnerst du dich an ihn? Ein Patient von mir.«
»Nein, nicht daß ich wüßte.«
»Wir haben in dem Fall zusammengearbeitet. Ich bat dich, sein EKG zu prüfen, und du bestätigtest meine Diagnose.«
»Ach ja, jetzt fällt es mir ein. Extreme Arrhythmie.«
»Nika hatte gerade bei mir angefangen, als Cernak mein Patient wurde; er war Witwer, und die beiden freundeten sich an. Nach einigen Monaten machte er ihr einen Antrag, und sie heiratete ihn. Als Cernaks Firma verlegt wurde, zogen sie nach Cleveland. Soweit ich weiß, starb er fünf oder sechs Monate nach der Hochzeit.«
»Als Ehemann war er ein schlechtes Risiko«, sagte Joel traurig. »Hast du Nika gesagt, wie krank der Mann war?«
»Sie wußte es«, antwortete Hazletine. »Trotzdem war das Ende ein Schock für sie. Sie kam natürlich zu mir zurück, sie kannte ja sonst niemanden in Cleveland. Ich konnte ihr sogar die alte Stelle anbieten; du weißt ja, wie tüchtig Nika ist, sie führt tadellose Krankenakten, und die Sprechstundenhilfe, die ich damals hatte, war ein kaugummikauendes junges Mädchen. Nika aber sagte, sie brauche nicht mehr zu arbeiten. Sams kleines Vermögen und seine Versicherung reichten aus.«
»Hast du sie damals oft gesehen?«
»Ach, etwa einmal im Monat gingen wir essen oder ins Theater. Sie interessierte sich noch immer für meine Arbeit und meine Patienten. Und so hat sie dann auch Bob Glass kennengelernt – sie schaute eines Nachmittags in der Praxis vorbei. Glass war der Mann, den Mittenger in Boston operiert hatte, erinnerst du dich? Was ich ihr von ihm erzählen konnte, interessierte sie: daß er früher Football gespielt und praktisch nur noch ein halbes Herz habe. Ich sagte ihr, sie dürfe Glass nicht ernst nehmen, wenn sie nicht wieder eine tragische Romanze erleben wolle; Mittenger oder nicht, ich glaubte nicht, daß Glass es schaffen würde, nicht bei seinem Temperament und seinem anstrengenden Leben. Aber Nika schien er leid zu tun – nach wenigen Monaten waren sie verheiratet.«
»Und Glass starb«, sagte Joel. Es war keine Frage mehr.
»Sehr schnell sogar«, sagte Hazletine seufzend. »Früher als alle vermutet hatten. Die beiden hatten als Hochzeitsreise eine Kreuzfahrt durch die Karibik gemacht und befanden sich auf dem Rückweg. Glass wurde tot in einem Deckstuhl gefunden. Natürlich eine schreckliche Sache für Nika.«
Joel erzeugte ein schnalzendes Geräusch mit den Lippen. Er stand auf und schenkte sich aus der Wassermaschine einen Becher
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